Parteitag in Kalkar Parteitag der AfD NRW: Sieg der vermeintlich Gemäßigten
Kalkar · Beim Parteitag in Kalkar muss der zwölfköpfige Landesvorstand an diesem Samstag komplett neu gewählt werden. Eine Richtungswahl, glauben viele. Mit Rüdiger Lucassen ist der neue Landeschef kein offener „Flügel”- und Höcke-Sympathisant.
Beim Machtkampf innerhalb der nordrhein-westfälischen AfD kommt es nach einem heißen Sommer zum Showdown im „Wunderland” in Kalkar. Nach dem Parteitag im Juli, bei dem neun von zwölf Vorstandsmitgliedern zurückgetreten waren, führte eine Rumpftruppe um Thomas Röckemann - angeblich Anhänger des „Flügels” um den Rechtsaußen Björn Höcke aus Thüringen - die Landespartei.
Sie legte ihre Ämter zu Beginn des Parteitages zurück in die Hände der knapp 550 Delegierten. Und da blieb Röckemanns Landesvorsitz auch: Fast 60 Prozent wählen stattdessen den Bundeswehroberst a.D. und Bundestagsabgeordneten der AfD, Rüdiger Lucassen. Auch die weiteren vermeintlichen „Flügel”-Sympathisanten der NRW-Partei schaffen es nicht in die Spitzenämter. Die Frage ist: Ist das eine gute Nachricht für Nordrhein-Westfalen?
Als Noch-Landeschef beschwört Röckemann die Partei eingangs, nicht wieder in Lager und Strömungen zu zerfallen. „Getrennt sind wir schon geschlagen”, ruft er seinen Parteifreunden zu und bittet sie „ein Leuchtfeuer der Einigkeit” zu entzünden gegen den „linksgrünen Lügenmainstream”. Als Stargast des Tages fordert auch Bundestags-Fraktionschefin Alice Weidel: „Nordrhein-Westfalen braucht eine starke AfD.” Ein Neustart sei nach den schwierigen vergangenen Monaten nötig.
Rüdiger Lucassen hatte schon im Juli beim Parteitag in Warburg als neuer Landesparteichef bereitgestanden - allerdings unter der Prämisse, dass der gesamte Vorstand zurücktreten und er allein an der Spitze des Verbands stehen könnte. Verantwortung ist nicht teilbar, so die Überzeugung des ehemaligen Oberst. Diese Vorzeichen sind in Kalkar gegeben, wo die Delegierten befinden: Einigkeit funktioniert besser mit nur einem Anführer
Lucassen allerdings verspricht in seiner Bewerbungsrede, auch den „Flügel” und andere Strömungen in den Dialog der Partei einbinden zu wollen: „Wer sich konstruktiv anschließen will, ist herzlich willkommen.” Es gehe ihm um die Sache: „Die AfD ist die größte Chance, um Deutschland zu retten.”
Er wolle sich selbst auch als Landeschef nicht in den Vordergrund spielen: „Wir haben hier keinen amerikanischen Wahlkampf mit Personenkult, sondern preußische Tugenden.” Und er mahnt, nach den aus AfD-Sicht erfolgreichen Wahlen in Sachsen und Brandenburg nicht einfach die Rezepte ostdeutscher Landesverbände zu kopieren - es scheint in seinen Worten die Empfehlung verborgen zu sein, tief im Westen eine weniger völkische Ansprache zu finden.
Es sind leise Töne verglichen mit seinem Amtsvorgänger Röckemann, der ein Bild vom zusammenbrechenden deutschen Rechtsstaat zeichnet, in dem Mädchen vergewaltigt, genitalverstümmelt und zwangsverheiratet werden, in dem Senioren in Altenheimen weniger Betreuungspersonal haben als Flüchtlinge und in dem die „neuen Herrenmenschen” bei Hochzeitskorsos über die Autobahnen preschen.
Immerhin: Diese Rhetorik wählen die AfD-Delegierten in Kalkar ab. Mit 321 Stimmen und somit knapp 60 Prozent schafft er die notwendige Mehrheit spielend. Röckemann bleibt mit unter 40 Prozent deutlich dahinter, der Stahlbetonbauer Andreas Preis, der sich spontan zur Wahl stellte, ankündigte, so weit rechts zu stehen, wie es Parteiprogramm und Gesetz zuließen, und gut rechtsschutzversichert zu sein, spielt mit zwei Stimmen keine Rolle.
Lucassen zeigt sich nach der Wahl „sehr zufrieden” und bekräftigt, seine schlagenden Vorteil: „Ich bin keinem Lager zuzuordnen.” Das Einzige, was er in der AfD NRW nicht zulassen wolle, sei rückwärtsgewandte Politik. Dass er dem Thüringer Landeschef Björn Höcke volle Unterstützung für den Wahlkampf - und auch einen zeitnahen Besuch - zusagt, ist in seinen Augen kein Widerspruch. Ebenfalls nicht sein Berliner Mandat und das neue Amt in NRW: „Ich bin ja nicht gegen Kurzstreckenflüge”, sagte er lächelnd vor den Fernsehkameras.
Bei den Wahlgängen zu den drei Stellvertretern können sich auch Jürgen Spenrath aus dem bisherigen Rumpfvorstand um Röckemann und Verena Wester, zuvor als möglicher Kopf in einem neuen „Flügel”-nahen Landesvorstand gehandelt, nicht durchsetzen. Mit Matthias Helferich und Martin Schiller sind unter den neuen Vize-Vorsitzenden zwei Namen, die schon zuvor auf der Seite Lucassens gegen Röckemann, Spenrath und Christian Blex geraunt wurden. Dritter im Bunde ist Michael Andreas Schild.
Es bleibt die Frage, ob der Sieg der rhetorisch gemäßigten Kräfte in der NRW-AfD eine gute Nachricht ist. Keiner aus Lucassens Truppe hat dem rechtsnationalen „Flügel” offen abgeschworen oder auch nur einen Halbsatz gegen die Höckes in der eigenen Partei fallen lassen. Im Gegenteil. Neben Lucassen bekräftigt auch sein Vize Helferich, alle sollten eingebunden werden: „Wir müssen reden!”, ruft er jenen zu, die nicht für ihn stimmten. Der AfD-Landtagsabgeordnete und Ex-Vorstandsmitglied Helmut Seifen, der als Speerspitze der gemäßigten NRWler und Röckemann-Gegner gilt, äußert sich am Rande optimistisch, die “echten Patrioten” des sogenannten Flügels in den Schoß ihrer Partei zurückholen zu können.
Die Botschaft ist klar: Nicht die Rechtsnationalen sind unerwünscht, sondern lediglich Versuche, eine rechtsnationale Partei innerhalb der Partei zu gründen. Ob eine AfD der Seifens und Lucassens sich aus dem einstelligen Umfragetief in NRW herausgraben kann, bleibt nunmehr abzuwarten.