Schulen Talentschulen im Ruhrgebiet – und auch eine in Wuppertal
Wuppertal · NRW-Schulministerin benennt die ersten 35 Talent-Schulen. Was folgt, sind Freude auf der einen und Streit auf der anderen Seite.
Claudia Schweizer-Motte bleibt ein kurzer Moment der Freude, dann rauschen schon die Medien heran. Alle wollen wissen, wie das denn nun so ist: Das Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium in Wuppertal als ausgewählt neue Talentschule in NRW.
Als eine von 35, insgesamt 139 Bewerbungen hat es gegeben. Und 25 weitere Schulen sollen ab dem Schuljahr 2020/21 an den Start gehen. Frisch gekürt, bejubelt – und nun vor glanzvoller Zukunft? „Moment“, sagt die 51 Jahre alte Schulleiterin. „Ich konnte das hier noch gar nicht kommunizieren.“
Nicht jeder Kollege habe die Bewerbung, ein „letter of intent“ (Absichtserklärung), begeistert zur Kenntnis genommen. „Meist bedeutet ein Schulentwicklungsprogramm zuerst mehr Arbeit für die Kollegen, ohne neue Ressourcen. Dann heißt es so oft: Der Benefit resultiert aus der Vernetzung.“
Jetzt aber sei das Schulentwicklungsprogramm mal „mit wirklichen Ressourcen hinterlegt“, sagt die Schulleiterin und freut sich über mögliche Förderkonzepte ab 2019/20: Dann soll jährlich ein zusätzlicher Jahrgang einem naturwissenschaftlichen Profil zugeführt werden, Lehrer können sich assistieren, außerdem wird in einigen Klassen mit zwei Lehrern unterrichtet. Einen Sozialarbeiter wird es auch geben. Es gibt viel zu tun. Die Schule, die gerade zurück an ihren alten Standort in top-modernisierte Räume gezogen ist, steckt im Umbruch: der Ganztag ist im Aufbau, der Wechsel zurück auf G9, die Digitalisierung – ein Konzept jagt das nächste.
Talentschulen sind der Versuch der Landesregierung, an sozialen Brennpunkten „den Bildungserfolg der Kinder und Jugendlichen von ihrer sozialen Herkunft und den Einkommensverhältnissen des Elternhauses zu entkoppeln“, sagte NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP). Jährlich 22 Millionen Euro stehen dafür zur Verfügung, 400 zusätzliche, unbefristete Lehrerstellen und 150.000 Euro für Fortbildung.
Moment: Sozialer Brennpunkt? Schweizer-Motte hegt wenig Sympathie für diese Einordnung anhand eines Sozialindex, der sich nach Migrationsquote (hier etwa 66 Prozent) und der Bewertung von Wohnvierteln richtet, in denen die Schüler leben (Hartz IV-Quoten). „Die sind nicht homogen, außerdem sind Migranten bei uns Bereicherung“, sagt sie. Heißt: Der Begriff „Brennpunktschule“ ist ihr zu negativ. „An Brennpunktschulen“, sagt sie, „ist die Motivation höher, sich zu entwickeln.“ Gebauer kündigte derweil an, den Index, der die soziale Belastung in Schulamtsbezirken bemisst, künftig „schulscharf“ ausrichten zu wollen.
Eine Zusage bekamen jeweils sechs Gymnasien, Hauptschulen und Berufskollegs, zehn Gesamtschulen, fünf Realschulen und zwei Sekundarschulen. 22 der 35 Schulen liegen im Ruhrgebiet. Die allgemeinbildenden Schulen erhalten 20 Prozent mehr Personalausstattung, Berufskollegs mindestens vier zusätzliche Stellen.
Lehrergewerkschaften reagieren kritisch. „Einzelne Leuchttürme zu fördern, schafft keine Chancengerechtigkeit“, sagt der Landeschef des Verbands Bildung und Erziehung, Stefan Behlau. „Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft nennt es „ein Rätsel, wie das Pilotprojekt den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg auflösen“ solle. Schweizer-Motte sieht es pragmatischer: „Natürlich besteht überall Bedarf. Es deshalb aber ganz zu lassen, halte ich nicht für richtig.“ Alle Talentschulen werden sechs Jahre in dem Projekt arbeiten, das wissenschaftlich begleitet und ausgewertet werden soll.