Was war und was noch kommt im Fall Sami A.

Das Oberverwaltungsgericht hat entschieden — aber viele Fragen sind noch nicht beantwortet. Wir sammeln die Hintergründe des Falles und geben einen Ausblick, was jetzt passieren könnte.

Das Oberverwaltungsgericht hat entschieden: Die Behörden müssen abgeschobenen Islamisten Sami A. zurückholen.

Foto: Julian Stratenschulte

Düsseldorf. Seit 1997 war der Tunesier in Deutschland, seit 2006 sollte er eigentlich ausgewiesen werden. Der Fall füllt mittlerweile Aktenschränke bei den zuständigen Behörden. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den aktuellen Entwicklungen:

Der Asylantrag, den A. 2006 stellte, wurde als offensichtlich unbegründet abgewiesen. Doch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) stellte 2010 ein Abschiebungsverbot fest, da dem Tunesier in seiner Heimat Folter drohe. Versuche des Bamf, dieses Verbot zu widerrufen, scheiterten in den folgenden Jahren. Am 20. Juni dieses Jahres dann hat das Bamf sein Verbot erneut widerrufen und die sofortige Vollziehung der Abschiebung angeordnet. Eine Rolle dabei soll der Fall Haikel S. gespielt haben: Das Bundesverfassungsgericht hatte im Mai entschieden, dass er nach Tunesien abgeschoben werden darf, obwohl ihm dort sogar formal die Todesstrafe droht — die allerdings nicht mehr vollstreckt wird.

Das Amtsgericht Bochum ordnete für Sami A. nach dem Widerruf Abschiebehaft an, seit dem 25. Juni saß er hinter Gittern, da von ihm eine Gefahr ausgehe. Gegen die Abschiebungsandrohung legte A. Klage ein und beantragte am 2. Juli — so referierte Minister Joachim Stamp (FDP) bei der Sondersitzung im Landtag — die Feststellung der aufschiebenden Wirkungs seiner Klage. Die 8. Kammer des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen lehnte den Eilantrag am 11. Juli ab. Gleichzeitig hatte A. gegen die Widerrufsentscheidung des Bamf geklagt. Nach Meinung des Ministeriums allerdings hatte dieser Antrag, der von der 7. Kammer des Verwaltungsgericht behandelt wurde, keine aufschiebende Wirkung. Dies war das Verfahren, in dem am Abend des 12. Juli eine Entscheidung fiel — die Entscheidung, um die es seit der Abschiebung geht und die besagt, dass A. nicht hätte abgeschoben werden dürfen.

Dazu erklärt das Oberverwaltungsgericht am Mittwoch: „Das Gericht wusste nicht, dass die Abschiebung unmittelbar bevorstand.“ Das Verwaltungsgericht hatte das Bamf um Informationen zum Abschiebetermin gebeten und hatte nur erfahren, dass ein für den 12. Juli gebuchter Flug nach Tunesien storniert wurde. „Das Gericht ist deshalb davon ausgegangen, dass die Übermittlung des Beschlusses am Morgen des 13. Juli 2018 rechtzeitig sein würde“, so das OVG. Doch da saß A. schon im Flieger.

Das ist die Frage, die man sich auch beim OVG offensichtlich stellt. Zwar müsse der Abschiebetermin nicht konkret genannt werden, aber üblich sei eine „Stillhaltezusage“, dass die Rückführung nicht vor einem bestimmten Datum vollzogen wird. „So ist dann gewährleistet, dass effektiver Rechtsschutz möglich ist, die gerichtliche Entscheidung also nicht zu spät kommt“, heißt es vom OVG. Das Bamf hingegen habe dem Verwaltungsgericht am 12. Juli mitgeteilt, eine solche Zusage werde „nicht für erforderlich erachtet“. Und das Ministerium von Stamp habe die Ausländerbehörde angewiesen, weder A. noch dem Gericht das Datum der Rückführung zu nennen.

Die Antwort der OVG-Richter lautet: Ja. Nicht der Beginn der Maßnahme, sondern ihr Abschluss sei entscheidend. Und die Entscheidung sei den Behörden eine Stunde vor der Überstellung des Gefährders an die tunesischen Behörden bekanntgegeben worden.

Nein. „Dieser Beschluss ist als asylrechtliche Entscheidung im Eilverfahren unanfechtbar“, teilt das OVG mit. Es geht bei der aktuellen Entscheidung also nicht darum, ob der Beschluss vom 12. Juli richtig oder falsch ist. Dem OVG ging es vielmehr allein darum, „ob die Abschiebung selbst rechtswidrig war“, so die Erklärung aus Münster.

Dieser Umstand sei für die Frage der Rechtswidrigkeit der Abschiebung unerheblich, erklärt das OVG. Es obliege der Ausländerbehörde sowie den Sicherheitsbehörden, A. — so wie auch vor der Abschiebung — „im Bundesgebiet zu beobachten und zu kontrollieren“. Laut Stamp hatte sich A. mehrfach nicht an seine räumlichen Beschränkungen gehalten, dazu sein Handy ausgeschaltet. Zudem soll er rege Kontakte in die islamistische Szene unterhalten haben.

Nein. Eine weitere Instanz gibt es nicht, der Beschluss ist somit unanfechtbar.

Das hat das Bamf bereits versucht mit der Begründung, A. drohe nach den neuesten Erkenntnissen in seiner Heimat offensichtlich keine Folter — er ist dort ja auf freiem Fuß. Das Verwaltungsgericht hat diesen Abänderungsantrag inzwischen abgelehnt: Es sieht weiterhin die Gefahr einer menschenrechtsverletzenden Behandlung. Das OVG stellt jetzt klar: „Bei Vorliegen veränderter Umstände steht es dem Bamf frei, erneut die Änderung des Beschlusses vom 12. Juli 2018 beim Verwaltungsgericht zu beantragen.“ Auf Nachfrage heißt es, eine sogenannte „Verbalnote“ könnte die Umstände möglicherweise verändern. So wurde auch im Fall Haikel S. verfahren: Tunesien gab eine diplomatische Zusicherung ab, dass dem Ausgelieferten keine Menschenrechtsverletzungen drohten.

Angesprochen ist stets die Ausländerbehörde der Stadt Bochum. Allerdings sei klar, so ein Sprecher des OVG auf Anfrage, dass die Behörde selbst keine diplomatischen Verbindungen nach Tunesien unterhalte. Dass aber die Rückholung eines rechtswidrig Abgeschobenen möglich ist, zeige der Fall Nasibullah S., der Anfang Juli aus München nach Afghanistan abgeschoben worden war — obwohl er gegen die Ablehnung seines Asylantrages geklagt hatte und noch angehört werden sollte. Das Bamf hatte in diesem Fall einen Fehler eingeräumt, S. wurde zurück nach Deutschland geholt. Die Stadt Bochum selbst kündigte an, eine „Betretenserlaubnis“ auszustellen, damit er trotz Wiedereinreisesperre in das Bundesgebiet kommen kann. Zudem übernimmt die Stadt die Kosten für den Flug.

Er bekäme keine Aufenthaltserlaubnis, sondern nur eine Duldung. Sein Asylantrag wurde ja bereits vor vielen Jahren abgelehnt, er war im Prinzip immer ausreisepflichtig. Denkbar wäre also in der Tat, dass A. zurück nach Deutschland reist — wenn die tunesischen Behörden etwa nicht mehr gegen ihn ermitteln —, in einem neuen Anlauf festgestellt wird, dass ihm keine Folter in seiner Heimat droht. Und dann müsste er ein zweites Mal abgeschoben werden.