Projekt der Wohnungslosenhilfe Wohnungslosenhilfe - Die Feuerwehr gegen die Obdachlosigkeit
Mit einem neuen Projekt kämpft der Fachdienst Wohnungslosenhilfe in Ratingen darum, Menschen in letzter Minute die Räumung zu ersparen.
Ratingen. Man muss schon genau hingucken, um am Ende der abgenutzten Wohnblockfassade in der Ratinger Straße Am Sandbach das Büro des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) zu entdecken. Die Stadt hat hier einen Teil ihrer Notunterkünfte untergebracht — und drei Räume freigemacht für das Projekt Mobile Wohnraumsicherung (MoWing). Seine wichtigste Aufgabe: zu verhindern, dass Menschen diese Notunterkünfte in Anspruch nehmen müssen.
Jessica Schumacher, Manuela Neidinger und Melanie Etzien sehen nicht aus wie Feuerwehrleute. Und doch kommt das Dreierteam aus zwei Sozialarbeiterinnen und einer Sozialpädagogin immer wieder zum Einsatz, wenn es brennt. Dann liegt im schlechtesten Fall schon ein Räumungstitel vor und der Besuch des Gerichtsvollziehers steht unmittelbar bevor. Jetzt ist viel Fingerspitzengefühl gefragt: beim Umgang mit den von der Räumung bedrohten Bewohnern und dem Vermieter.
Wie im aktuellen Fall jener 54-jährigen Frau. Sie war arbeitslos geworden, hatte sich zwei Jahre lang fast vollständig in ihre Wohnung zurückgezogen und vom Ersparten gelebt. Irgendwann wurden keine Briefe mehr geöffnet und keine Rechnungen bezahlt. Bis der Räumungstermin vor der Tür stand.
Das Tragische: Die Frau hatte auch keine Sozialleistungen beantragt, die ihr eigentlich zugestanden hätten. „Sie wollte das nicht, weil sie früher doch auch alles selbst geschafft hatte“, erzählt Melanie Etzien. Erst als die MoWing-Mitarbeiterinnen vor der Tür standen, war sie bereit, sich unterstützen zu lassen. Mittlerweile hatte sie keinen gültigen Personalausweis mehr und keine Krankenversicherung.
Über einen Darlehensantrag beim Jobcenter konnten schließlich die Miet- und Verfahrensschulden sowie die ausstehenden Zahlungen an die Energieversorger gesichert werden. „Noch haben wir aber keine Bestätigung, dass der Räumungstermin aufgehoben wurde“, sagt Etzin.
Seit Jahren hatte die Wohnungslosenhilfe des SkF steigende Klientenzahlen verzeichnet: von 223 im Jahr 2000 auf 795 im Jahr 2015. „Früher war das die typische Klientel, die auf der Straße lebte und oft Alkoholprobleme hatte. Heute läuft bei uns auch die Mittelschicht auf“, sagt Sozialarbeiter Helmut Blasius. Gleichzeitig wurden preiswerte Wohnungen in Ratingen immer knapper. Entsprechend wuchs das Bemühen, den Verlust von Wohnraum zu vermeiden. „Aber vom Büro aus war das nicht zu leisten.“
Die Geburtsstunde für das im Kreis Mettmann einzigartige Streetwork-Projekt. Mit öffentlichen Fördermitteln finanziert, soll es durch aufsuchende Arbeit Hemmschwellen senken, denn viele Menschen nehmen aus Scham oder Unwissenheit das bestehende Hilfesystem nicht in Anspruch.
Inzwischen ist ein erstes Frühwarnsystem installiert. Räumungsklagen, die beim Amtsgericht eingehen, erreichen über das städtische Wohnungsamt zeitnah die MoWing-Mitarbeiterinnen. Die machen sich umgehend auf den Weg — beim ersten Termin immer zu zweit. „Diejenigen, die uns aufmachen, sind meist dankbar, dass jemand kommt, weil sie oft in totaler Isolation leben“, sagt Melanie Etzien. Die Wohnungskündigung ist in vielen Fällen nur die Spitze des Eisbergs. „Es gibt andere Schulden, psychosoziale Probleme und nicht alle Anträge beim Jobcenter sind auch wirklich gestellt“, ergänzt Jessica Schumacher. Die Verbindungen zu Hilfsangeboten müssen erst hergestellt werden.
Und dann ist da noch die Vermieterseite, „in der Regel eher Großvermieter“, sagt Manuela Neidinger. Dort machen die Mitarbeiterinnen in den überwiegenden Fällen die Bereitschaft zum Entgegenkommen aus, wenn Wege zum Begleichen der Mietschuleden aufgezeigt werden. Dennoch will das Team daran arbeiten, möglichst noch früher eingebunden zu werden, „im Idealfall schon, wenn eine fristlose Kündigung vorliegt“, sagt Jessica Schumacher. Dann wären Gericht und Anwälte noch außen vor, was auch eine unnötige Kostenexplosion verhindern würde. Daher soll das Netzwerk in Richtung Vermieter ausgebaut werden.
Seit Sommer 2016 ist das Projekt arbeitsfähig, bis zum Jahreswechsel gab es 80 Beratungsfälle. In 46 Fällen konnte der Wohnraumverlust verhindert werden. Gerade in den vergangenen Monaten seien die Fallzahlen durch den wachsenden Bekanntheitsgrad rasant gestiegen, sagt Blasius. Ende 2018 läuft die Förderung aus. Die weitere Zukunft hängt von den Erfolgen ab. Bisher gibt es da keinen Grund zur Sorge.