Silvesternacht in Köln Mit einer Armlänge Abstand in die Krise

Nach den Übergriffen auf Frauen an Silvester irritiert nun die Kölner Oberbürgermeisterin Reker mit gut gemeinten Verhaltenstipps.

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Köln. Es ist die ganz große Bühne, auf der Henriette Reker sitzt. Nicht der Raum ist groß, aber das Interesse. Kaum zählbare Kameras, Journalisten aus unterschiedlichen Ländern, eine Traube Mikrofone vor ihr. Nicht nur Deutschland ist geschockt von den sexuellen Übergriffen, denen Frauen in der Silvesternacht in Köln ausgesetzt gewesen sein sollen. Und Henriette Reker wird gefragt, wie sich Frauen besser schützen können. Es ist eine von vielen Fragen an diesem Tag und sie antwortet. Und sie löst eine Empörungswelle aus.

„Es ist immer eine Möglichkeit, eine gewisse Distanz zu halten, die weiter als eine Armlänge betrifft“, sagt Reker. Und weiter: „Also von sich aus schon gar nicht eine große Nähe zu suchen zu Menschen, die einem fremd sind, zu denen man kein gutes Vertrauensverhältnis hat.“ Es dauert nicht lange, bis in den sozialen Netzen die Hashtags #einearmlaenge und #armlaenge kursieren. Viele halten die Äußerungen für unpassend und verharmlosend.

„Nicht Frauen brauchen Verhaltensregeln, sondern Männer, die keine Grenzen kennen. Wieso sollte das Opfer sich einschränken?“ schreibt ein Nutzer. Andere werden sarkastisch („Wenn ich das einhalte, werd ich also nicht sexuell belästigt. Is ja einfach.“) oder posten als „Lösung“ für Karneval den abmontierten Arm einer Schaufensterpuppe. Twitter-typisch gibt es auch die Gegenempörung: „Ist bald mal gut damit? War unbeholfen formuliert. Punkt. Was ähnliches hat schon Mama gesagt, als ich ‘92 inne Disco ging.“

Auch außerhalb der sozialen Netze wird Reker kommentiert. Frauenrechtlerin Alice Schwarzer sagt dem Radiosender hr1: „Es ist wahrscheinlich gut gemeint, aber natürlich wahnsinnig naiv.“

Am Mittwoch stellt Reker dann in einer Pressemitteilung klar, dass sie verkürzt dargestellt worden sei. „Vorrang hat, dass die Sicherheit auf unseren Straßen und Plätzen konkret hergestellt wird“, erklärt sie. Verhaltenstipps könnten natürlich nur nachrangig sein. Sie habe nur auf eine gezielte Nachfrage geantwortet.

Köln hat nicht das beste Image. 2009 stürzte das Stadtarchiv ein, es gibt den Ruf als Klüngel-Hochburg, unlängst musste die OB-Wahl verschoben werden wegen fehlerhafter Stimmzettel. Nun die Übergriffe direkt vor dem Dom, einem Tourismusmagneten.

Reker wollte alles besser machen, nachdem sie die Wahl unter dramatischen Umständen gewonnen hatte. Einen Tag zuvor war sie von einem Angreifer niedergestochen worden. Sie nahm die Wahl dann an. Die Geschehnisse der Silvesternacht sind ihre erste Bewährungsprobe.

Der Bonner Politikwissenschaftler Tilman Mayer warnt, Rekers Äußerungen auf die berühmte Goldwaage zu legen. Allerdings sagt er auch klar: „Die Betulichkeit der Oberbürgermeisterin war die falsche Tonlage“. Es gehe um Kriminalität, nicht um Sozialverhalten — und die Oberbürgermeisterin habe Raum für Missverständnisse gelassen. „Es ist sicherlich keine Glanzleistung“, sagt Mayer. Und er findet es merkwürdig, dass sich Reker, die viel Erfahrung in der Verwaltung mitbringt, sich in eine solche Situation manövriert.

Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann mahnt zugleich zu etwas mehr Gelassenheit. „Ich halte die Reaktion in den sozialen Netzen für total überzogen“, sagt er. Reker habe spontan geantwortet - das sei ja auch Teil ihrer Sympathiewerte. „Natürlich ist es eine ziemlich hilflose Gegenstrategie, eine Armeslänge Abstand zu halten. Das zu einer Amtskrise zu erklären, halte ich für absurd“, sagt er.

Reker müsse nun konkrete Maßnahmenpakete vorlegen — was sie ja auch bereits angekündigt hat. „Wenn in einem solchen Papier dann immer noch die Armeslänge Abstand vorkommt, dann müsste man sich Sorgen machen“, sagt von Alemann.