„Bundeswehr stark machen“ Neuer Verteidigungsminister: Boris Pistorius sieht gewaltige Aufgaben
Berlin · Etliche Namen wurden in den letzten Tagen für die Nachfolge von Verteidigungsministerin Lambrecht genannt. Am Ende wird es keiner von ihnen. Die Entscheidung von Kanzler Scholz ist eine Überraschung.
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius wird neuer Bundesverteidigungsminister und damit Nachfolger der zurückgetretenen Christine Lambrecht (beide SPD). Der Amtswechsel soll an diesem Donnerstag erfolgen. Lambrecht wird dann von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Entlassungs- und Pistorius die Ernennungsurkunde erhalten, zudem wird er im Bundestag vereidigt. Er habe „Demut und Respekt vor einer so gewaltigen Aufgabe“, sagte Pistorius in Hannover.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) betonte, Pistorius verfüge über sehr, sehr viele Erfahrungen in der Sicherheitspolitik. Er habe schon in seiner bisherigen Funktion sehr offen und eng mit der Bundeswehr zusammengearbeitet. Zudem sei Pistorius jemand, „der auch die Kraft und Ruhe besitzt, die man für eine so große Aufgabe angesichts der jetzigen Zeitenwende braucht“. Scholz zeigte sich überzeugt, dass die Bundeswehr mit Pistorius gut auskommen werde. „Ich bin überzeugt, dass das jemand ist, der mit der Truppe kann, und den die Soldatinnen und Soldaten sehr mögen werden.“ Scholz bescheinigte Pistorius zudem Kompetenz, Durchsetzungsfähigkeit und ein „großes Herz“.
Lambrecht hatte am Montag nach nur gut einem Jahr im Amt ihren Rücktritt erklärt. In den vergangenen Tagen waren mehrere andere Namen als mögliche Nachfolger genannt worden, darunter Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt, SPD-Chef Lars Klingbeil und die Wehrbeauftragte Eva Högl. Pistorius war nun eine Überraschung. Er gilt als erfahrener und pragmatischer Politmanager.
„Ich will die Bundeswehr stark machen“, betonte Pistorius in Hannover. „Die Aufgaben, die vor der Truppe liegen, sind gewaltig.“ Ihm sei dabei die „enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit“ mit den Soldatinnen und Soldaten wichtig. Die Bundeswehr müsse sich auf eine neue Situation durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine einstellen. „Mir ist wichtig, die Soldatinnen und Soldaten ganz eng in diesem Prozess zu beteiligen und sie mitzunehmen. Und die Truppe kann sich darauf verlassen, dass ich mich, wann immer es nötig ist, vor sie stellen werde.“
Die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl, nannte den neuen Minister einen „engagierten, führungsstarken und leidenschaftlichen Politiker“. Er sei ein Mann, „dem die Bundeswehr sehr am Herzen liegt und auf den sie sich verlassen kann“, sagte sie der „Rheinischen Post“.
Die Partner der SPD in der Ampel-Koalition lobten die Personalie. Finanzminister Christian Lindner gratulierte Pistorius umgehend. In einem Tweet sprach der FDP-Chef von seinem „neuen Kabinettskollegen Boris Pistorius“. „Vor allem mit der Umsetzung des Sondervermögens liegt eine große Aufgabe vor uns“, schrieb er. Er freue sich auf eine gute Zusammenarbeit von Finanz- und Verteidigungsministerium.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr begrüßte die Entscheidung ebenfalls. „Ich bin davon überzeugt, dass er der richtige Mann für das Amt des Verteidigungsministers ist“, sagte er dem Nachrichtenportal t-online.
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nannte Pistorius einen „sehr erfahrenen Politiker, der in schwierigen Situationen über die nötige Nervenstärke verfügt“. Er übernehme das Verteidigungsressort „in sehr entscheidenden Zeiten“. „Es sind auch kurzfristig wichtige Entscheidungen zu treffen, insbesondere die drängende Frage, wie wir die Ukraine in ihrem Recht auf Selbstverteidigung weiter unterstützen. Deutschland trägt hier eine Verantwortung und muss große Aufgaben bewältigen“, erklärte Habeck.
Aus der Union kam Kritik. „Der Bundeskanzler zeigt damit, dass er seine eigene Zeitenwende nicht ernst nimmt“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Johann Wadephul (CDU), der Deutschen Presse-Agentur. „Erneut spielen Sachkompetenz und Erfahrung mit der Bundeswehr keine Rolle“, kritisierte Wadephul. Bei der Personalie handele es sich um eine „Besetzung aus der B-Mannschaft“.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt äußerte sich weniger kritisch. Er forderte Pistorius auf, unter seiner Vorgängerin liegen gebliebene Projekt schnellstens anzupacken. „Verlorene Zeit muss aufgeholt werden.“ Pistorius müsse das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr umgehend umsetzen. Erste Maßnahmen müssten eine „Instandsetzungsoffensive“ für die Kampfpanzer Leopard 1 und 2 sowie das Bestellen fehlender Munition sein. Zudem müsse schnell die Entscheidung fallen, der Ukraine Kampfpanzer zur Verfügung zu stellen, forderte Dobrindt.
Lambrecht hinterlässt Pistorius eine ganze Reihe von Baustellen. Die Modernisierung der Bundeswehr unter anderem mit Hilfe des 100 Milliarden Euro umfassenden Sondervermögens steht erst am Beginn. Bisher wurden erst Verträge über gut zehn Milliarden Euro geschlossen. Die Aufrüstung hatte Kanzler Scholz nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar vergangenen Jahres verkündet.
Unklar ist auch noch, wie es mit den Waffenlieferungen an die Ukraine weitergeht. Nachdem die Bundesregierung zuletzt die Lieferung von Marder-Schützenpanzern beschlossen hatte, drehen sich die aktuellen Debatten darum, dem angegriffenen Land Leopard-Kampfpanzer bereitzustellen. Bereits am Freitag steht für den neuen Minister ein Treffen mit den westlichen Verbündeten der Ukraine auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz an, bei dem es um die weitere Unterstützung für Kiew gehen soll.
Mit der Entscheidung für Pistorius hebelt Scholz seinen eigenen Anspruch aus, seine Ministerriege paritätisch zu besetzen. Bisher waren es acht Männer und acht Frauen, nun werden es neun Männer und sieben Frauen sein - der Kanzler selbst nicht mitgezählt.