Ukrainekrieg Russland zieht Truppen aus südukrainischem Cherson zurück

Moskau · Nach schweren Kämpfen kann Russland den nordwestlichen Teil des annektierten Gebiets Cherson nicht länger halten. Damit erlangt Kiew unter anderem die Kontrolle über die gleichnamige Gebietshauptstadt Cherson zurück - für Moskau ist das eine schwere Niederlage.

Die russische Besatzung im südukrainischen Gebiets Cherson wurde zurückgerufen. Die Kontrolle des Gebiets geht somit zurück an die Ukraine.

Foto: dpa/Andriy Andriyenko

Unter dem Druck ukrainischer Gegenoffensiven ziehen sich Russlands Truppen aus der Gebietshauptstadt Cherson und weiteren Teilen des dort besetzten Gebiets zurück. Verteidigungsminister Sergej Schoigu ordnete am Mittwoch die Räumung des rechten Ufers des Flusses Dnipro an. Seine Anordnung wurde im russischen Staatsfernsehen gezeigt. Mit dem Rückzug verliert Russland im Süden die Kontrolle über die einzige ukrainische Gebietshauptstadt, die es seit Beginn des Angriffskriegs Ende Februar eroberte.

„Das Leben und die Gesundheit der Soldaten der Russischen Föderation waren immer eine Priorität“, sagte Schoigu zur Begründung. Der neue Kommandeur der russischen Truppen in der Ukraine, Sergej Surowikin, berichtete von zuletzt heftigem Beschuss der Ukrainer auf die Stadt Cherson und umliegende Ortschaften. Betroffen von dem ankündigten Abzug der russischen Truppen ist auch ein besetzter Teil des angrenzenden Gebiets Mykolajiw um die Stadt Snihuriwka.

Die Führung in Kiew reagierte skeptisch auf die Ankündigung aus Moskau. „Die Ukraine sieht keine Anzeichen dafür, dass Russland Cherson ohne Kampf aufgibt“, schrieb der Berater des Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak, auf Twitter.

Russland hatte das Gebiet Cherson in den ersten Kriegswochen weitgehend besetzt und im September - ebenso wie die Regionen Saporischschja, Luhansk und Donezk - annektiert. Ungeachtet dessen kündigte die Ukraine immer wieder an, Stadt und Gebiet Cherson auch mithilfe westlicher Waffen befreien zu wollen.

International wird die russische Einverleibung Chersons nicht anerkannt und als ein Bruch des Völkerrechts gewertet. In seiner eigenen Logik aber verliert der Kreml nun erstmals Teile einer Region, die er zum eigenen Staatsgebiets erklärt hat. Kiews Truppen könnten damit schon bald rund 70 Kilometer vor der Schwarzmeer-Halbinsel Krim stehen, die Russland bereits 2014 annektiert hatte.

In den vergangenen Wochen gab es in Cherson andauernde heftige Kämpfe. Mehrfach berichteten die Ukrainer von großen Zerstörungen und hohen Verlusten auf russischer Seite. Unabhängig konnte das oft zwar nicht überprüft werden. Zuletzt rechneten aber auch russische Militärblogger mit einem baldigen Rückzug der eigenen Truppen aus der Stadt Cherson.

Auch Kommandeur Surowikin kündigte bereits im Oktober „schwierige Entscheidungen“ in Cherson an, was von Beobachtern als Indiz für einen geplanten Abzug gedeutet wurde. Zudem brachten die russischen Besatzer eigenen Angaben zufolge Zehntausende Zivilisten aus der Stadt Cherson weg. Die Ukraine sprach von einer Verschleppung der Menschen.

Am Mittwoch wurde in Cherson zudem der Tod von Vize-Besatzungschef Kirill Stremoussow bekannt gegeben. Offiziellen Angaben zufolge starb er bei einem Autounfall. Als einer der bekanntesten Vertreter der russischen Besatzungsverwaltung hatte Stremoussow einen Abzug der russischen Truppen bis zuletzt praktisch ausgeschlossen.

Russland hat das Nachbarland Ukraine am 24. Februar überfallen. Seitdem mussten die russischen Truppen bereits mehrfach größere militärische Niederlagen einstecken. Als eines der aus Kreml-Sicht größten Debakel gilt der Rückzug aus dem ostukrainischen Gebiet Charkiw Mitte September.

(dpa)