Schluss mit lustig an Halloween: Die Angst vor den Horror-Clowns
Polizei und Sicherheitsexperten fürchten, dass die Zusammenstöße mit Horror-Clowns während der Halloween-Feiern rund um Reformationstag und Allerheiligen eskalieren könnten. Klinik-Clowns fürchten um das positive Image, das Clowns einmal hatten.
Düsseldorf. Die preiswerteste Maske mit einem bösen Clownsgesicht und gelben, gemeinen Zähnen in dem Kostümhandel kostet keine fünf Euro. Der Gummizug, der sie vor dem Gesicht hält, schneidet unangenehm an den Ohren ein. Der Kunststoff stinkt nach Weichmachern, man selbst sieht wenig und — wie der Blick in den Spiegel bestätigt — von außen eher mitleiderregend als furchteinflößend aus. Einerseits.
Andererseits: Möchte man in den nächsten Tagen irgendjemandem begegnen, der einem im Halbdunkel mit so einer Fratze vor dem Gesicht und einem stumpfen Gegenstand in der Hand entgegenkommt? Rund 370 solcher Vorfälle soll es in den vergangenen Wochen in Deutschland gegeben haben, dazu frei erfundene Clowns-Sichtungen wie am 20. Oktober in Krefeld.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière fordert „null Toleranz“ für die Täter. Große Warenhäuser haben die Masken in den vergangenen Tagen aus dem Sortiment genommen. Die Polizei warnt, sich vor Halloween-Feiern als Clowns zu verkleiden, und der „Dachverband Clowns in Medizin und Pflege Deutschland e.V.“ fordert Medien auf, weniger über Grusel-Clowns zu berichten und die Titulierung in „Grinsefratze“ zu ändern, um seine rund 200 Clowns in 15 Vereinen von „derartigen Soziopathen“ abzugrenzen. Denn, so der Verband: „Grusel-Clowns sind keine Clowns. Es sind wirre Menschen, die ihre destruktiven Neigungen nur auf diese armselige Art ausleben wollen. Sie sind weder komisch noch beeindruckend, sondern ein grotesker Abklatsch einer zutiefst menschlichen, positiven Freude an der Anarchie.“
Laut einer britischen Studie aus dem Jahr 2008 ist diese „positive Freude“ zu großen Teilen reines Wunschdenken deutscher Klinikclowns, die als eigenes Berufsbild anerkannt werden wollen. An der Studie der Uni Sheffield nahmen laut BBC mehr als 250 Kinder zwischen vier und 16 Jahren teil. „Wir fanden heraus, dass Clowns übergreifend von Kindern nicht gemocht werden. Einige fanden sie furchteinflößend und unbegreiflich“, zitiert die BBC eine Wissenschaftlerin. Und eine Kinderpsychologin aus Nord-Wales führte dazu aus: „Nur sehr wenige Kinder mögen Clowns. Sie sind ungewohnt und kommen aus einer anderen Ära. Sie sehen nicht lustig aus, sondern bloß seltsam.“
Tatsächlich sind positive, lustige Clowns in der Kultur des Westens seit Jahrzehnten die Ausnahme. Dem Circus Roncalli gelang noch einmal eine Renaissance der klassischen Clowns-Nummer mit Gründer Bernhard Paul und Gianni Huesca („Fumagalli“) in dem Sketch „Bienchen, Bienchen gib mir Honig“; das ist 40 Jahre her, Huesca inzwischen 60 Jahre alt. Die Schweizer Clownin Gardi Hutter, die in den 80er Jahren die Figur einer Waschfrau erfand, die davon träumt, Johanna von Orleans zu sein, oder der New Yorker Leo Bassi, der als selbst ernannter „gefährlichster Clown der Welt“ in den 2000er Jahren um die Welt tourte, blieben Ausnahmen. Um sie zu sehen, musste man Vorstellungen und Festivals besuchen (oder nachts einen Kultursender einschalten).
Für seinen Horror-Clown hatte King ein reales Vorbild: 1980 wühlte ein Todesurteil gegen einen der bis dahin grausamsten Massenmörder der amerikanischen Geschichte die US-Öffentlichkeit auf. John Wayne Gacy, ein erfolgreicher Unternehmer und regelrechter Muster-Amerikaner, hatte als „Pogo der Clown“ mehr als 30 Jungen und junge Männer in die Falle eines sadistischen Todes gelockt und ihre Leichen verscharrt.
Weniger grausam, aber kaum weniger blutig ließ der damalige Bestseller-Autor Johannes Mario Simmel (1924— 2009) 1987 seinen Gentechnik-Thriller „Doch mit den Clowns kamen die Tränen“ beginnen: Eine Reporterin besucht mit ihrem Sohn eine Zirkus-Vorstellung. Die Clowns, die in die Manege kommen, reißen keine Witze oder spielen den dummen August, sondern zücken Maschinenpistolen und richten ein Massaker an.
Schon in der Alltags-Kultur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in Bestsellern und Blockbustern, bestimmen zudem fast nie fröhliche Clowns das Bild, sondern fast immer traurige Hanswurste und zerstörte Charaktere: Emil Jannings als Professor Rath, der in „Der blaue Engel“ (1930) von dem Zauberkünstler Kiepert zu einem würdelosen Clowns-Auftritt gezwungen wird, oder — vielleicht die traurigste aller Vorstellungen — Heinz Rühmann als der Clown Teddy Lemke in „Wenn der Vater mit dem Sohne“ (1954).
Der Euskirchener Psychologe Uwe Wetter, in diesen Tagen von vielen Medien als Experte zitiert, glaubt nicht, dass „das positive Image“ der Clowns durch die Horror-Clowns Schaden nehmen könnte. Der lustige Clown habe schließlich „eine lange Tradition“, so der psychologische Psychotherapeut. „Die Kombination einer ansonsten eher positiv besetzten Figur wie dem Clown mit einer Schreckensfigur ist besonders perfide“, so Wetter gegenüber der Nachrichtenagentur AFP: Gerade Kindern und von Natur aus besonders ängstlichen Menschen könnten die Gruselgestalten erhebliche Probleme machen. Vor allem kleine Kinder könnten Ängste vor der Dunkelheit oder dem Alleinsein entwickeln. Diejenigen hinter den Clownsmasken seien häufig Menschen, „die Macht ausüben und zugleich anonym bleiben wollen“.
Der Umstand, dass sich mutmaßlich vor allem männliche Jugendliche in einer von Terror, Angst, Sorgen und Unsicherheit geprägten Zeit einen fehlgeleiteten „Spaß“ daraus machen, in einer Maske der Unterhaltungs-Kultur ihrerseits Angst und Schrecken zu verbreiten, erinnert frappierend an einen Vorgang, den die Kinder-Psychoanalytikerin Anna Freud schon 1936 in ihrem Standardwerk „Das Ich und die Abwehrmechanismen“ wiedergab. Als eine der Strategien, sein „Ich“ vor Ängsten zu schützen, beschrieb die Tochter Sigmund Freuds darin die „Identifikation mit dem Aggressor“.
Anna Freud schilderte, wie ein kleines Mädchen seine Gespenster-Angst überwand, in der Dunkelheit ein Vorzimmer der Wohnung zu überqueren, indem es allerlei sonderbare Bewegungen ausführte: „Nach Kurzem teilte sie ihrem kleinen Bruder triumphierend das Geheimnis ihrer Angstbewältigung mit. ,Du brauchst dich im Vorzimmer nicht zu fürchten’, sagt sie. ,Du musst nur spielen, dass du selber der Geist bist, der dir begegnen könnte’“, so Anna Freud.
Im Herbst 2016 winkt den maskierten Horror-Clowns in der Wirklichkeit jedoch weniger Lustgewinn aus der Angstbereitung, sondern vielmehr der körperliche Angstwiderstand der Erschreckten. Die „positive Freude an der Anarchie“, die die deutschen Klinik-Clowns beschwören, kann jedoch nur empfinden, wer in einer Welt lebt, deren Ordnung stabil und verlässlich ist. Diese Welt hat im Empfinden vieler Menschen aufgehört zu existieren. Der Angst-Spaß ist jetzt Angst-Ernst.