Krankenkassen So soll neue Gesundheits-App den Patienten helfen

Berlin/Essen · Mehr als 13 Millionen Krankenversicherte sollen ihre sensiblen Gesundheitsdaten über ihr Handy verwalten können. Doch es gibt Kritik an dem System.

Ein Handybildschirm zeigt die App "Vivy", aufgenommen bei der Vorstellung der neuen digitalen Gesundheitsakte. Millionen Versicherte können seit Montag ihre Gesundheitsdaten über die neue Handy-App verwalten.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Millionen Bundesbürger sollen sich künftig mit dem Smartphone durch das oft unübersichtliche Gesundheitssystem bewegen können. Blutwerte und Röntgenbilder sollen digital von Arzt zu Arzt wandern können, Doppeluntersuchungen so vermieden werden. Das Ganze soll gekoppelt werden können mit Fitness-Trackern, die Puls- und Schlafdaten messen. Mit der App „Vivy“.

Was soll „Vivy“ leisten?

Arztbriefe, Befunde, Laborwerte und Röntgenbilder sollen in der digitalen Akte gespeichert und mit dem behandelnden Arzt geteilt werden können. Versicherte sollen sich an Impftermine und Vorsorgeuntersuchungen erinnern lassen können. Mögliche Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln sollen angezeigt werden, nachdem man den Code auf der Packung oder dem Medikationsplan eingescannt hat. Auch Überweisungen, U-Hefte oder Mutterpass können gebündelt, Fitnesstracker mit der App gekoppelt werden.

Wer kann die App nutzen?

Für Versicherte der DAK-Gesundheit, mehrerer Innungskranken- und Betriebskrankenkassen sowie der Allianz Private Krankenversicherung und der Barmenia. 13,5 Millionen Versicherte können kostenlos mitmachen, heißt es. Weitere Versicherungen sollen dazukommen Bei der DAK-Gesundheit etwa soll „Vivy“ über eine neue DAK-App angesteuert werden können, mit der Versicherte auch Bescheinigungen anfordern oder Punkte für Bonusprogramme sammeln könnten.

Und andere Versicherte?

Die AOK hat ihr Gesundheitsnetzwerk mit Pilotprojekten gestartet. Die Techniker Krankenkasse (TK) ist mit inzwischen 30 000 Versicherten mit ihrer Digitalakte TK-Safe im Testbetrieb. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will digitale Akten sogar allen zugänglich machen. „Versicherte sollen auch per Tablet und Smartphone auf ihre elektronische Patientenakte zugreifen können“, sagte er der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Bei der elektronischen Gesundheitskarte, die seit Jahren die Erwartungen an sie nicht erfüllt, soll es trotzdem weitergehen.

Wie kommen  Daten in die Akte?

Bei „Vivy“ können Dokumente, die man in Papierform bereits zuhause hat, eingescannt werden. Mit ein paar Klicks, so versprechen die Anbieter, können Dokumente von Ärzten, Laboren und Kliniken angefordert werden, so dass diese die Akten verschlüsselt mit einem teilen.

Was versprechen die „Vivy“-Macher in puncto Sicherheit?

Hohe Standards. Die sensiblen Daten seien sicher. Nur die Nutzer würden über die Verwendung entscheiden. „Vivy setzt auf mehrstufige Sicherheitsprozesse und eine asymmetrische Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, für die nur der Nutzer selbst den Schlüssel hat“, betonen die Anbieter. Mit einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung sind Inhalte nur für Absender und Empfänger im Klartext sichtbar. „Vivy wurde von unabhängigen Unternehmen wie ePrivacy und dem TÜV Rheinland getestet und als sichere Plattform zertifiziert.“

Einschätzung eines Experten

 „Es wird mit der Zeit herauskommen, wie gut die Verschlüsselung wirklich ist“, sagt Falk Garbsch, Sprecher des Chaos Computer Clubs. „Die Zahl der Angriffe auf Smartphones steigt immer weiter.“ Nach zwei Jahren gebe bei den Geräten üblicherweise keine Sicherheitsupdates mehr. Da Gesundheitsdaten nicht nur intim seien, sondern auch lukrativ sein könnten, könnte es sich lohnen, Viren und Trojaner zu entwickeln, um von unbefugter Seite heranzukommen, meint Garbsch.

Reaktion von Ärzteseite

Während sich der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, sagt, er freue sich, dass „Vivy“ sich für die KV-Schnittstelle entschieden habe. Mit deutlichen Worten kritisiert dagegen Wieland Dietrich, Vorsitzender des Vereins Freie Ärzteschaft, die App im Gespräch mit dieser Zeitung.  Selbst wenn die Daten bei dem IT-Dienstleister gesichert sein sollten, was er auch nicht für garantiert hält, sieht der Essener Dermatologe in der Weitergabe der höchstpersönlichen Gesundheitsdaten über die App „ein Einfallstor dafür, dass die Daten in die Hände interessierter Dritter geraten“.  Kein normaler Handynutzer sei in der Lage, sein Smartphone so einzustellen, dass es kein Einfallstor für einen Datendiebstahl über die Apps gebe. Das sei dann „wie ein offenes Buch für die großen Internetfirmen“, befürchtet Dietrich. Und geschehe das, dann seien diese hochsensiblen Daten nicht mehr rückholbar. Niemand wisse, in wessen Besitz sie dann seien. Interessierte Kreise könnten nicht nur ein Interesse daran haben, die Gesundheitsinformationen der Nutzer für gezieltes Marketing zu übernehmen. Bei den über die  App preisgegebenen Informationen und einem dann schnell wachsenden Gesamtbild über den Gesundheitszustand des Betroffenen seien die Daten dann auch für Versicherer interessant. Diese könnten ihre Risiko-Einstufung des Betroffenen und damit auch die Höhe der Versicherungsprämie an die so erlangten Informationen knüpfen. Oder auch die Entscheidung, den Betroffenen gar nicht zu versichern. Wieland rät  dringend davon ab, Gesundheitsdaten über Apps hochzuladen oder speichern zu lassen.