Rücktritt SPD bekommt vorerst Führungstrio

Berlin · In höchster Not sortiert sich die SPD neu. Doch erstmal gibt es nur Zwischenlösungen. Devise: Zeit gewinnen - auch für eine geordnete Halbzeitbilanz der großen Koalition.

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Nach dem Rücktritt von SPD-Chefin Andrea Nahles übernimmt übergangsweise ein Trio die Führung der krisengeschüttelten Partei. Die Ministerpräsidentinnen von Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz, Manuela Schwesig und Malu Dreyer, sowie der hessische SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel sollen nicht nur die Wahl von Nahles' Nachfolger organisieren, sondern auch die Halbzeitbilanz mit Entscheidung über die Zukunft der großen Koalition vorbereiten. Keiner von ihnen werde jedoch als Parteichef kandidieren, machten die drei am Montag klar.

„Es ist für uns wirklich ein einschneidender Tag“, sagte Dreyer nach der Vorstandssitzung in Berlin. Die SPD sei nach Nahles' Rücktritt aber nicht kopflos und auch nicht führungslos. Schäfer-Gümbel betonte allerdings auch, neben Enttäuschung und Trauer über das Ergebnis der Europawahl gebe es „eine gehörige Portion Sorge“ über die Zukunft der Partei.

Er kündigte für den 24. Juni eine Vorstandssitzung an. Bei dieser solle über das Verfahren zum künftigen Parteivorsitz und dessen Struktur beraten werden. Im Gespräch ist unter anderem eine Doppelspitze. Thema solle zudem sein, mit welchem Verfahren die SPD die Halbzeitbilanz der Koalition angehen wolle. Ob der für Dezember vorgesehene Wahl-Parteitag vorgezogen werde, sei noch nicht entschieden, sagte Schäfer-Gümbel.

Dreyer sicherte der Union Vertragstreue zu. „Wir haben uns nach einem Mitgliedervotum entschieden, in die große Koalition einzugehen, und wir sind vertragstreu“, sagte sie. Allerdings steht die Revision zur Halbzeit der Koalition - und damit der mögliche Ausstieg - auch im Koalitionsvertrag. Sachsen-Anhalts SPDhat sich bereits für ein Ende der großen Koalition ausgesprochen.

Nahles trat am Vormittag im Parteivorstand offiziell zurück. Sie habe eine sehr bewegende Abschiedsrede gehalten, für die es viel Applaus gegeben habe, berichtete Dreyer. Die ehemalige Vorsitzende verließ das Willy-Brandt-Haus bereits nach einer Dreiviertelstunde mit den Worten „Machen Sie's gut“ - der Vorstand tagte mehrere Stunden ohne sie weiter. Am Dienstag will Nahles auch in der SPD-Fraktion offiziell zurücktreten. Hier soll es ebenfalls eine kommissarische Lösung geben: Mit dem Kölner SPD-Abgeordneten und stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich.

Ihren Rückzug nach nur 13 Monaten an der Parteispitze hatte Nahles am Sonntag in einem kurzen Schreiben an die Parteimitglieder angekündigt. „Die Diskussion in der Fraktion und die vielen Rückmeldungen aus der Partei haben mir gezeigt, dass der zur Ausübung meiner Ämter notwendige Rückhalt nicht mehr da ist“, heißt es darin. Nahles wird auch ihr Bundestagsmandat niederlegen und sich damit komplett aus der Bundespolitik zurückziehen.

Dreyer war bereits am Wochenende als Interims-Parteichefin im Gespräch gewesen. Sie hatte zum Zusammenhalt in der Krise gemahnt und andernfalls vor einer düsteren Zukunft für die Partei gewarnt. Die frühere Familienministerin Schwesig verkörpert das Bild einer jüngeren, weiblichen SPD. Sie betonte am Montag die ernste Lage der SPD, die sich durch Nahles' Rücktritt noch einmal verschärft habe. Schäfer-Gümbel will sich im Herbst aus der Politik zurückziehen, nachdem er bei der Landtagswahl 2018 zum dritten Mal mit dem Vorhaben gescheitert war, Ministerpräsident in Hessen zu werden. Dabei bleibe es auch, betonte er.

Beim Koalitionspartner stieß die Entscheidung für eine kommissarische Dreier-Führung auf Unverständnis. „Ein Trio? Und wer ist jetzt der verbindliche Ansprechpartner, wer führt?“, fragte die stellvertretende CDU-Chefin Julia Klöckner auf Twitter.

Auch künftig wird es aber möglicherweise mehr als einen SPD-Chef geben: Außenminister Heiko Maas (SPD) sprach sich am Montag genauso für eine Doppelspitze aus wie Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller und der sächsische Wirtschaftsminister Martin Dulig. „Das ist etwas, womit die anderen offensichtlich ganz gut arbeiten können“, sagte Müller etwa mit Blick auf die Grünen. „Nur zu glauben, ein neuer Kopf wird es schon richten, ist offensichtlich eine fatale Fehlentscheidung“.

Maas plädierte zugleich für eine Urwahl, also eine Abstimmung sämtlicher SPD-Mitglieder. „Die Zeit der Hinterzimmer muss endlich vorbei sein“, erklärte er seinen Vorschlag, wie aus Parteikreisen verlautete. „Wir brauchen eine neue Parteispitze, die eine möglichst breite Unterstützung unserer Mitglieder hat.“

Bisher haben sich allerdings kaum Kandidaten dafür aus der Deckung gewagt. Einzig die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange hat Interesse angedeutet. Vizekanzler Olaf Scholz und der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil winkten genauso ab wie Dreyer, Schwesig und Schäfer-Gümbel.

Mehrere Sozialdemokraten forderten derweil Debatten über den grundsätzlichen inhaltlichen Kurs: „Was keinen Sinn mehr macht, ist, dass wir nach einer Wahl von einem tagespolitischen Thema zum nächsten hopsen“, sagte Müller. Die saarländische Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger betonte: „Wir brauchen jetzt an erster Stelle eine vernünftige Grundaufstellung und nicht in erste Linie eine Debatte über GroKo oder nicht GroKo.“

(dpa)