Ukraine-Krieg Drei Regierungschefs in Kiew angekommen
Kiew/Moskau/Berlin · Die heftigen Kämpfe in der Ukraine nehmen kein Ende, bei Angriffen auf einen Fernsehturm und eine Schule sterben viele Menschen. Derweil gehen die diplomatischen Bemühungen weiter. Eine gefeierte Heldin steht in Russland vor Gericht und wird verurteilt.
Die Regierungschefs von Polen, Tschechien und Slowenien sind nach Angaben des polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki in Kiew angekommen. „Hier, im kriegszerstörten Kiew, wird Geschichte geschrieben“, schrieb Morawiecki am Dienstag auf Twitter. Dazu postete er Bilder, die ihn mit seinem Vize Jaroslaw Kaczynski sowie Tschechiens Ministerpräsidenten Petr Fiala und seinem slowenischen Amtskollegen Janez Jansa an einem Tisch mit einer Karte der Ukraine zeigten. „Die EU unterstützt die Ukraine, die auf die Hilfe ihrer Freunde zählen kann - diese Botschaft haben wir heute nach Kiew gebracht“, schrieb Morawiecki weiter. Sie wollten dort den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Regierungschef Denys Schmyhal treffen. Zwischen Russland und der Ukraine wurden die am Montag vertagten Gespräche fortgesetzt.
Unterdessen gingen die russischen Attacken auf ukrainische Städte auch am 20. Kriegstag weiter. Bei einem Angriff auf einen Fernsehturm starben nahe der nordwestukrainischen Großstadt Riwne nach ukrainischen Angaben 19 Menschen, neun wurden verletzt. In der Nähe der südukrainischen Großstadt Mykolajiw wurde eine Schule beschossen und sieben Menschen getötet. Das Ochmatdyt-Krankenhaus in Lwiw (Lemberg) nahe der polnischen Grenze ist nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef überlastet durch die Anzahl an verletzten Kindern, die aus umkämpften Regionen eintreffen.
Ukrainische Truppen wehrten derweil nach eigenen Angaben einen russischen Vorstoß in der umkämpften Hafenstadt Mariupol ab. Dabei seien etwa 150 Angreifer getötet sowie zwei Panzer und mehrere gepanzerte Fahrzeuge zerstört worden, teilte der ukrainische Generalstab mit. Mariupol am Asowschen Meer wird seit Tagen von Einheiten der russischen Armee und der prorussischen Separatisten belagert. Hunderttausende Menschen harren dort unter katastrophalen Bedingungen aus. Am Dienstag konnten sich nach Behördenangaben Menschen in etwa 2000 Autos in Sicherheit bringen. Weitere 2000 Autos warteten demnach am Stadtrand. Ob ein Konvoi mit Dutzenden Tonnen Hilfsgütern und leeren Bussen für eine Evakuierung das von russischen Truppen eingeschlossene Mariupol erreicht hat, war noch unklar.
Solidaritätsbesuch im Kriegsgebiet
Die Entscheidung für die Visite der Regierungschefs von Polen, Tschechien und Slowenien sei schon beim EU-Gipfel vergangene Woche gefallen, sagte der polnische Regierungssprecher Piotr Müller. Sie verträten „de facto die Europäische Union, den Europäischen Rat“. In Kiew werde die Delegation ein Signal der Unterstützung für den Freiheitskampf der Ukraine geben und ein Paket mit konkreter Unterstützung für die Ukraine vorlegen.
Bundeskanzler Olaf Scholz äußerte sich positiv: Es gehe derzeit darum, „alle Gesprächsformate zu nutzen und die auch aufrecht zu erhalten“, sagte der SPD-Politiker in Berlin. Es sei „gut, wenn auf verschiedene Weise versucht wird, in dieser Situation hilfreich zu sein“.
Nato beruft Sondergipfel ein
Die Staats- und Regierungschefs der Nato-Staaten werden in der kommenden Woche zu einem Sondergipfel zusammenkommen. Das Treffen soll für den 24. März in der Bündniszentrale in Brüssel organisiert werden, wie Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg mitteilte. US-Präsident Joe Biden wird zudem auch als Gast beim regulären März-Gipfel der EU erwartet, der für den 24. und 25. März angesetzt ist. Das bestätigte ein ranghoher EU-Beamter. Die Beratungen sind bereits die zweiten auf Ebene der Staats- und Regierungschefs seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar.
Dass es bei dem Gipfel in der kommende Woche weitreichende Entscheidungen geben wird, gilt als eher unwahrscheinlich. Es dürfte aber unter anderem darüber beraten werden, ob die Nato mit einer substanziellen und langfristigen Verstärkung der Ostflanke auf Russlands Vorrücken in Richtung Westen reagieren.
Frau mit Plakat im russischen TV zu 30 000 Rubel Strafe verurteilt
Nach ihrem Protest im Staatsfernsehen gegen den russischen Angriffskrieg wurde eine TV-Mitarbeiterin zu 30 000 Rubel (226 Euro) Ordnungsstrafe verurteilt. Zuvor hatte es stundenlang keine Spur von Marina Owssjannikowa gegeben. Die Redakteurin des Ersten Kanals des russischen Staatsfernsehens hatte in den Hauptnachrichten am Montagabend ein Protestplakat gegen den Krieg in die Kamera gehalten. Auf dem Plakat war auch zu lesen, dass die Zuschauer „hier belogen“ werden. Zunächst war befürchtet worden, die Frau könnte nach einem umstrittenen neuen Gesetz wegen Diffamierung der russische Armee verurteilt werden. Dabei drohen bis zu 15 Jahre Haft. Nach ihrem Protest wurde Owssjannikowa weltweit eine Welle der Anerkennung zuteil.
Russland und Ukraine sprechen von militärischen Erfolgen
Sowohl Russland als auch die Ukraine berichten von militärischen Erfolgen. Die ukrainischen Streitkräfte haben nach eigenen Angaben an mehreren Fronten russische Angriffe abgewehrt. Nördlich von Kiew sei es russischen Kräften nicht gelungen, die Verteidigungsstellungen zu durchbrechen, teilte der ukrainische Generalstab mit. Auch die westlich der Hauptstadt gelegene Stadt Makariw hätten die Angreifer nicht einnehmen können.
Die russische Armee gab bekannt, dass sie das komplette Gebiet Cherson im Süden der Ukraine unter ihre Kontrolle gebracht habe. Dort leben rund eine Million Menschen. Bestätigt wurde die Besetzung von ukrainischer Seite zunächst nicht. Die Angaben können nicht unabhängig überprüft werden.
Der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko verhängte nach schweren Angriffen auf die Stadt eine Ausgangssperre von Dienstagabend bis Donnerstagmorgen. In dieser Zeit dürfen die Einwohnerinnen und Einwohner ihre Häuser nur verlassen, um sich in Schutzräumen und Bunkern in Sicherheit zu bringen. Am Dienstagmorgen wurden in der Hauptstadt nach offiziellen Angaben in mehreren Bezirken vier Wohngebäude von Raketen getroffen, mindestens zwei Menschen wurden getötet. Russische Truppen versuchen, die Hauptstadt von mehreren Seiten einzukreisen.