Auszeichnung für früheren EZB-Chef Warum Mario Draghi das Verdienstkreuz verdient hat

Dass der Ex-EZB-Chef Mario Draghi die Milliarden der deutschen Sparer vernichtet hat, trifft nicht zu. In Wahrheit hat er den Euro gerettet – und das hilft den Deutschen sehr.

Der ehemalige EZB-Präsident Mario Draghi bei der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes im Gespräch mit Kanzlerin Angela Merkel.

Foto: dpa/Britta Pedersen

Schwarz-Weiß-Geschichten lassen sich gut erzählen. Drüben der Böse, hier die Guten. Die Welt kann so einfach sein. Leider ist die Wahrheit oft komplizierter. Bisweilen sind die Geschichten sogar nicht mal ein bisschen wahr, sondern einfach nur falsch. So wie bei Mario Draghi, dem früheren Chef der Europäischen Zentralbank (EZB).

Behauptet wird, dass dieser unsolide Italiener dem fleißigen deutschen Sparer die Milliarden gestohlen hat. Draghi ist demnach der Mann, der die Sparzinsen schmelzen ließ und die Lebensversicherungen wertlos machte. Dabei habe er nicht das Wohl der Eurozone im Blick gehabt, sondern das der südeuropäischen Länder, die mit Geld nicht umgehen können. Und deshalb sei es der blanke Hohn, wenn ausgerechnet Draghi mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet werde. Diese Darstellung trifft allerdings nicht zu. Und weil das so ist, hat Draghi den Orden verdient.

Aber der Reihe nach. Im Juli 2012 erreicht die europäische Staatsschuldenkrise ihren Höhepunkt. Die Finanzmärkte spekulieren darauf, dass nicht nur Griechenland Bankrott anmeldet, sondern dass die Euro-Zone auseinanderbricht. Draghi stemmt sich dagegen. Mit seiner glaubwürdigen Ankündigung, die EZB werde alles Notwendige tun („Whatever it takes“), um den Euro zu erhalten, entzieht er der Spekulation den Boden. Faktisch rettet er die junge Währung. Diese Leistung ist deshalb historisch, weil sich die eigentlich zuständigen Regierungen der Euro-Länder nicht auf Maßnahmen zur Abwehr der Krise einigen können. Der Beamte Draghi handelt, während die Politik gelähmt zuschaut.

Deutsche Wirtschaft wächst, die Beschäftigung nimmt zu

Mit Negativzinsen und Anleihekäufen verhindert der Italiener fortan, dass die Euro-Zone in einen Sog aus Deflation, Staatsbankrotten und Wirtschaftskrise gerät. Sein Weg verschafft den Regierungen Zeit, die Euro-Krise strukturell zu lösen. Dass die meisten Staaten sich lieber auf den niedrigen Zinsen ausruhen, statt die Zeit für Arbeitsmarkt- und Sozialreformen zu nutzen, ist nicht Draghis Schuld. Er hat diese Trägheit der Politik vielmehr immer wieder angeprangert.

Richtig ist, dass Draghis Handeln auch erhebliche negative Wirkungen hat. Die Renditen für Lebensversicherungen sind gesunken, Pensionskassen können ihre Zusagen oft nicht halten. Die Gefahr von Spekulationsblasen am Immobilienmarkt ist gestiegen. Doch die Alternative eines Euro-Crashs wäre für die Arbeitnehmer in Deutschland deutlich teurer gekommen.

Draghi führte die EZB von 2011 bis 2019. In dieser Zeit ist das deutsche Sozialprodukt um knapp 30 Prozent gestiegen, die Zahl der Beschäftigten um 3,5 Millionen, das Lohnniveau um knapp 20 Prozent. Gerade für Menschen mit niedrigen Einkommen dürfte der Aufschwung am Arbeitsmarkt erheblich wichtiger sein als die Flaute auf den Sparkonten.

Und wer glaubt, früher sei mit hohen Sparzinsen alles besser gewesen, der irrt. Negative Realzinsen sind keine Erfindung von Mario Draghi. Vielmehr hat es in der Geschichte immer wieder Phasen gegeben, in denen die Sparer in Deutschland real enteignet wurden. „Die Realzinsen waren auch früher bereits häufiger negativ“, so ein Bundesbank-Sprecher. Denn früher gab es zwar teils deutlich höhere Zinsen – aber auch die Inflationsrate lag auf einem stark erhöhten Niveau.