Politik „Wir sind liberal, aber nicht blöd“
Der FDP-Chef Christian Lindner und das liberale Urgestein Burkhard Hirsch im Doppelinterview: Flüchtlingspolitik, AfD und die Zukunft der eigenen Partei.
Düsseldorf. Burkhard Hirsch (85) und Parteichef Christian Lindner (37) sind anders als Genossen der SPD beim Sie. Der Respekt und die gegenseitige Wertschätzung sind auch beim Redaktionsbesuch spürbar.
Fangen wir mal ganz persönlich an: Herr Hirsch, ist für Sie als Altliberaler der 48 Jahre jüngere Christian Lindner ein Hoffnungsträger für die FDP?
Burkhard Hirsch: Jetzt bringen Sie mich gleich in Verlegenheit. Natürlich ist er das, gar kein Zweifel. Man merkt doch an den jüngsten Wahlergebnissen, welch’ große Rolle es spielt, dass jemand gut rüberkommt. Dass die Leute merken, dass er meint, was er sagt. Und da ist Herr Lindner ein hervorragendes Beispiel. Nicht nur wegen seiner rhetorischen Fähigkeiten. (An Lindner gewandt:) Man merkt, dass Sie denken, wenn Sie reden und dass Sie dann auch sagen, was Sie denken. Herr Lindner hat die ganze Präsentation der FDP völlig verändert. Ich finde, dass wir allen Grund haben, davon auszugehen, dass wir im nächsten Bundestag wieder vertreten sind.
Glauben Sie, dass die Partei auch den Bürgerrechtsflügel wieder stärken wird, für den Sie, Herr Hirsch, zusammen mit Gerhart Baum und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger so oft auf verlorenem Posten kämpften?
Hirsch: Das denke ich schon. Der Punkt bei einer liberalen Partei ist doch, beide Ziele anzustreben: Eine Lebensform, in der der Einzelne sich entfalten kann, aber auch eine soziale Verantwortung für denjenigen, der sich in einer Wettbewerbsgesellschaft nicht durchsetzen kann. Ich finde, das Image der FDP hat sich in den letzten Jahren wieder geändert. Und das musste auch sein.
Christian Lindner: Wir bemühen uns darum, dass die FDP kein einseitiges Profil hat, sondern im Liberalismus sowohl ihr gesellschafts-, als auch ihr wirtschaftspolitischer Anspruch sichtbar ist. Marktwirtschaft, Rechtsstaat und tolerante Gesellschaft gehören zusammen. Jetzt kommen ebenso Bürgerrechtler wie auch Köpfe der Wirtschaft neu zu uns, die in der FDP wieder ihre politische Heimat sehen. Das zeigt, wir sind in der Balance. Ich meine übrigens nicht, dass die FDP die Bürgerrechte vernachlässigt hätte. Die Massenüberwachung durch die Vorratsdatenspeicherung der Bürger haben wir ja bis 2013 verhindert. Jetzt klagen wir in Karlsruhe erneut dagegen.
Hirsch: Dazu möchte ich betonen, dass diesmal die Verfassungsbeschwerde nicht nur von Einzelpersonen eingelegt wurde, sondern von der FDP insgesamt.
Was treibt Sie in der Wirtschaftspolitik besonders um?
Lindner: Die Regeln der Marktwirtschaft werden missachtet. Die Regierung schafft Bürokratie für den Mittelstand, im Großen werden aber Fusionen von Handelsketten gegen Verbraucherinteressen gestattet und faire Regeln für Konzerne wie Google fehlen. Vor allem sind wir besorgt um die Entwicklung unserer Währung. Herr Draghi, der Präsident der EZB, setzt mit seiner Zinspolitik marktwirtschaftliche Prinzipien außer Kraft. Die EZB will den Regierungen Zeit mit billigem Geld kaufen. Im Ergebnis gibt es für die keine Anreize, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Stattdessen gibt es eine riesige Umverteilung von den Sparern zu den Staatshaushalten. Wir kommen in eine Spirale der immer stärkeren Notenbankintervention. Irgendwann fliegt die Sache aus der Kurve.
Schon ist von Helikoptergeld die Rede, dem Verschenken von Geld an den Bürger.
Hirsch: Welch ein Irrsinn, das macht das Geld doch völlig wertlos. Was wird dann mit unseren Sparvermögen, mit der Altersversorgung? Die Bundesregierung darf sich das nicht mehr lange mit ansehen, dass Herr Draghi jeden Monat 80 Milliarden Euro in die Wirtschaft pumpt. Wo soll das hinführen? Entweder platzt die Immobilienblase oder wir bekommen eine galoppierende Inflation. Herr Draghi wird sie dann nicht anhalten können mit seinen Mitteln.
Bei den jüngsten Landtagswahlen hat die FDP gut abgeschnitten, im Getöse um die AfD ist das untergegangen. Schmerzt Sie das?
Lindner: Unser Entwicklungsprozess ist nicht auf Effekte und Tempo, sondern auf Substanz und Dauer angelegt. Die Entwicklung geht stetig in die richtige Richtung. Das ist besser als ein Hochjazzen und Wieder-Zusammenfallen.
Sie haben kürzlich gesagt, Sie wollten einen Keil zwischen die AfD und ihre Wähler treiben. Wie wollen Sie das machen?
Lindner: Zunächst mal müssen die Probleme gelöst werden. Wir müssen in der Flüchtlingspolitik europäischer denken. Die europäische Außengrenze muss kontrolliert werden, als Voraussetzung dafür, dass man im Inneren auf Schlagbäume verzichtet. Nur geschützte Außengrenzen erlauben auch, dass wir entscheiden können, mit wem wir solidarisch sind.
Das macht doch auch die Bundeskanzlerin.
Lindner: Frau Merkel hat einen deutschen Sonderweg eingeleitet mit einer Politik der zumindest wahrgenommenen grenzenlosen Aufnahmebereitschaft, die sie jetzt mit größten Schwierigkeiten zu korrigieren versucht und dabei Europa in die Hände eines autoritären Herrschers wie Herrn Erdogan treibt. Das darf keine Dauerlösung sein. Immer noch fehlt auch ein Einwanderungsgesetz.
Wie bekommt man die anderen EU-Staaten ins Boot, die sich wie etwa Polen oder Ungarn der europäischen Solidarität verweigern und keine Flüchtlinge aufnehmen?
Lindner: Das sollte man dann mit Fördergeldern der EU verrechnen. Europa hat ein Problem, wenn es eigenes Recht bricht und verwässert. Wenn Ungarn sagt: Wir haben nichts gegen Muslime, aber wir nehmen keine, dann widerspricht das schon dem Geist der europäischen Verträge, weil es religiöse Diskriminierung nicht geben darf. Dann muss man das in anderer Weise, beispielsweise durch Finanzzahlungen berücksichtigen.
Hirsch: Wir haben in Deutschland früher Tausende Polen als Flüchtlinge aufgenommen! Und auch Menschen aus Ungarn. Mit welchem Recht stellen die sich hin und lösen sich aus dieser europäischen Solidarität, die sie ja selbst in Anspruch nehmen wollen, wenn es um die Ukraine geht. Und um unser Geld. Wir sind liberal, aber nicht blöd.
Und die Lösung des Flüchtlingsproblems schwächt dann automatisch die AfD? Wie treiben Sie denn nun den Keil zwischen die Partei und ihre Wähler?
Lindner: Man muss über die AfD sprechen, ohne die Wähler zu beschimpfen. Ich glaube nicht, dass deren Wähler alle völkisch denken, Rassismus verharmlosen, mehr Verständnis für Putin als für Obama haben, die Exportnation Deutschland abschotten oder die Familienpolitik der fünfziger Jahre zurückwollen. Aber die AfD ist so — das gilt es herauszuarbeiten.
Aber trifft nicht auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) die Stimmung, wenn er sagt: Für die Flüchtlinge macht Ihr alles und für uns macht ihr nichts?
Lindner: Herr Gabriel macht einen schweren Fehler, indem er versucht, Stimmungen nachzueilen. Mal nennt er die Leute bei Pegida ‚besorgte Bürger’ und geht zu ihnen, und zwei Wochen später sagt er, das sei ‚Pack’. Die Wahrheit ist, dass schon die letzten Prestigeprojekte der großen Koalition nicht vernünftig finanziert wurden. Das belastet zum Beispiel die Rentenkasse. Wenn Gabriel sich um soziale Gerechtigkeit sorgt, sollte er auch an die Menschen denken, die im Schraubstock steigender Sozialabgaben stecken und bezahlen müssen, was die Politik verteilen will. Wir müssen weg vom Versuch, sich Zustimmung durch Wohltaten auf Pump zu kaufen. Was fehlt, ist eine langfristig stabile Finanzierung des Sozialstaats und der Erhalt unserer Wirtschaftskraft.
Weg von Gabriels SPD und noch mal zurück zur AFD. Herr Hirsch, wie schätzen Sie deren Erstarken ein?
Hirsch: Die letzten Wahlen standen unter dem Eindruck des Flüchtlingsthemas und den Ereignissen an Silvester auf der Domplatte. Dahinter sind alle anderen Themen zurückgetreten. Und dann war auch noch der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) ein hervorragender Wahlkämpfer für die AfD. Ich bin wirklich neugierig auf die Reaktionen dieser Protestwähler, wenn sie plötzlich merken, dass die AfD sagt: Senkung der Spitzensteuersätze, Abschaffung der Mütterrente, Wiedereinführung des Schuldprinzips bei der Ehescheidung, Abschaffung von Arbeitslosengeld und was sonst noch alles. Ich glaube nicht, dass die Menschen mit ihrer Stimme das alles wollten. Ich glaube, da wird es ein tiefes Durchatmen geben, wenn sie merken, dass diese Partei ganz andere Vorstellungen hat als der protestierende Wähler.