Big Data in der Bildung: Datenschutz gefragt
Berlin (dpa) - Digitales Lernen breitet sich immer mehr aus. Doch damit sind auch neue Risiken für den Datenschutz verbunden. Zugleich mangelt es an Grundwissen über die digitale Technik und ihre Möglichkeiten.
Der Vormarsch von Computern und Internet in Schule und Hochschule schreitet voran - doch das Wissen um Funktionieren und möglichen Missbrauch von Daten hinkt dramatisch hinterher. Schulen brauchen mehr und bessere Internetanschlüsse, wird gefordert. Auch sollten schon Grundschüler programmieren lernen. Doch das reicht nicht. Grundlegende Technikkenntnisse sind nötig. „Da wir ohne diese IT-Geräte künftig nicht mehr arbeiten und leben können, müssen die Schüler in der Schule auch zur Mündigkeit in Bezug auf diese Digitaltechnologen ausgebildet werden“, sagt der Informatiker Prof. Christoph Meinel.
Die zunehmende Nutzung von E-Learning in den Bildungseinrichtungen birgt nicht nur Chancen, sondern auch Risiken. Denn bei diesen Lernangeboten werden massenweise elektronische Spuren hinterlassen. Damit ist anfangs der „gläserne Schüler“ gegeben. „Zunächst mal sind die Daten personalisiert. Sie fallen an bei einem Nutzer, und dieser Nutzer wäre exakt identifizierbar“, erläutert Meinel, Direktor des Hasso-Plattner-Instituts für Softwaresystemtechnik (HPI) an der Universität Potsdam. Deshalb müsse man mit diesen Daten sehr vorsichtig umgehen. Auch der Bildungstechnologe Prof. Armin Weinberger (Saarbrücken) sagt, der Datenschutz sei hierbei ein „besonders sensibles Thema“.
Besonders wichtig sei, dass die Schüler verstehen, was bei den Neuen Medien technisch läuft, betont Meinel. „Wenn ich da ein Grundverständnis habe, dann kann ich Fragen einordnen: Wie fallen Daten an, wo fallen Daten an, warum fallen sie an, was kann man mit diesen Daten machen? Wie werden diese Daten aufbereitet, was sind die Potenziale dieser Analyse-Algorithmen.“ Da die Digitalisierung die Gesellschaft immer weiter durchdringe, müssten die Schüler ein viel besseres Verständnis davon haben.
Weinberger sagt: „Der - durchaus auch kritische - Umgang mit Bildungstechnologien müsste schon seit 10 Jahren fester Bestandteil jeder Lehrerausbildung sein.“ Auf allen Bildungsebenen müsste da mehr passieren, sagt Meinel. „Ob das jetzt ein eigenes Schulfach ist oder eine Fächergruppe, wo das eine deutliche Komponente ist - entscheidend ist, dass jeder Schüler im Laufe seiner Schulkarriere in den verschiedenen Klassen mit dieser Thematik konfrontiert ist.“
Die Internetbotschafterin der Bundesregierung, Gesche Joost, meint, digitale Kompetenzen müssten in den bestehenden Fächern integrativ vermittelt werden. In Baden-Württemberg, wo es vom Schuljahr 2016/17 an flächendeckend das Fach Wirtschaft ab Klasse fünf geben soll, schlägt die Industrie bereits vor, das Fach um Technik zu erweitern.
Die Masse der Daten, die bei E-Learning anfallen, kann auf unterschiedliche Weise genutzt werden. Diese Big Data können auf irgendwelche Zusammenhänge untersucht werden, so Meinel. Aus diesem „Learning Analytics“ ergäben sich sehr viele Hinweise, die man bislang nicht habe.
So sei zum Beispiel bei einem E-Lernprogramm mit 10 000 Teilnehmern wie bei Massive Open Online Courses (MOOC) zu sehen, „wie die Menschen lernen, in welcher Folge sie die Lerninhalte anfassen, wie lange sie sich mit den einzelnen Lerninhalten befassen und ob sie nach einer Weile wieder zu einem Lerninhalt zurückkommen“. Das liege dann wahrscheinlich nicht am Einzelnen, sondern am Kursangebot. Dann könne der Kurs verbessert und im nächsten Durchgang überprüft werden. Solche Big-Data-Analysen sollten nur in anonymisierter Form durchgeführt werden, betont Meinel zum Datenschutz.
Aber auch ein anderer Nutzen ist möglich. So kann ein E-Lernprogramm für den einzelnen Teilnehmer ausgewertet werden. Das Programm könne dann selbsttätig Wiederholungen einbauen oder auch kleine Lernschritte überspringen. Im Idealfall entstehe so ein auf die Bedürfnisse der Lernenden individuell abgestimmtes Lernmaterial, schreiben die Autoren Viktor Meyer-Schönberger und Kenneth Cukier in ihrem Buch „Lernen mit Big Data: Die Zukunft der Bildung“. Das Endergebnis eines solchen Prozesses wäre dann „eine neue Ära hochgradig personalisierter Lernkontexte“.
Zu den Risiken dieser Nutzung weisen die Autoren unter anderem darauf hin, dass die erhobenen Daten protokolliert werden und diese Protokolle dann erhalten bleiben. Dass diese Protokolle möglicherweise noch nach Jahren herangezogen werden könnten, etwa um Bewerbungen mit Hilfe zusätzlicher Daten zu bewerten, sei ein Problem, das sich nicht ohne weiteres lösen lasse.
Weinberger plädiert für Transparenz als ein Leitprinzip. „Lernende - oder deren Eltern - sollten selber regulieren, welche Daten gesammelt werden dürfen. Und Lernenden sollte ermöglicht werden, Datenanalysen selbst zu nutzen“, sagt der Hochschullehrer von der Uni Saarbrücken.
Angesichts dieser Perspektiven erscheint eine solide Digitaltechnik- und Medienbildung umso dringender. Doch in den 16 Bundesländern findet Medienbildung sehr unterschiedlich statt, wie die Kultusminister in einem Papier von 2012 feststellen. Kürzlich hatte die neue internationale Studie ICIL aufgezeigt, dass Achtklässler in Deutschland im Vergleich von 24 Staaten mit ihren Computer-Kompetenzen im internationalen Mittelfeld liegen.
In etlichen asiatischen Staaten wie Südkorea oder Japan und in einigen Staaten der USA sind E-Learning und Learning Analytics bereits weiter fortgeschritten als in Deutschland. „Aber das wird kommen. Insofern ist es besser, man gestaltet es mit, als dass man andere machen lässt und hinterher damit leben muss“, sagt Meinel. Weinberger plädiert für ein „großes interdisziplinäres Forschungsprogramm“ zu Learning Analytics.