Erwachsene lernen immer öfter Instrumente in der Musikschule
Hannover (dpa) - Ob Glockenspiel, Blockflöte oder Klavier: Musizieren ist oft nur eine verschwommene Kindheitserinnerung. Im Erwachsenenalter erwacht bei einigen die Lust aufs Musikmachen aber von Neuem.
Auch im Nordwesten wollen viele ihre eingerosteten Finger, Stimmbänder und Ohren an der Musikschule wieder auf Trab bringen. Das ergab eine Umfrage der Nachrichtenagentur dpa. „Es ist eine Tatsache, dass sich immer mehr Erwachsene den Angeboten der Musikschule zuwenden“, sagt Klaus Bredl, Geschäftsführer des niedersächsischen Musikschulverbandes. Angesichts des demografischen Wandels sei das auch eine Chance für die Einrichtungen. Das bestätigt auch die Pressesprecherin der Stadt Hannover, Anja Menge. „Es kommen zunehmend Erwachsene, aus allen Altersgruppen.“
Die Über-19-Jährigen machen nach Angaben des Bundesverbandes der Musikschulen mittlerweile zehn Prozent der Schüler aus. Das Gros bilden dabei die 26- bis 60-Jährigen. „Viele wollen sich noch etwas aneignen und aus dem passiven Musikkonsum etwas Aktives machen“, sagt Bredl.
„Wenn die Kinder in die Grundschule kommen, fangen viele Eltern wieder an“, sagt der Leiter der Oldenburger Musikschule Holger Denckmann. Auffällig groß sei der Wunsch von Frauen ab 40 nach Gesangsunterricht. „Die Klasse unserer Jazzsängerin ist voll.“
So mancher spiele ein Instrument, „um die alltägliche Belastung abzuleiten“, sagt der Vorsitzende der Cuxhavener Musikschule, Holm Köhler. Musizieren sei mittlerweile eine Art Breitensport. „Man muss sich von dem Ziel lösen, dass man nur Elite machen möchte. Man kann nicht aus jedem einen Solisten machen.“
Christa Piater, Leiterin Kreismusikschule Osterholz, unterrichtet Schüler zwischen vier und 80 Jahren. Sie sieht große Unterschiede bei der Herangehensweise. „Kinder setzen sich ran und legen los. Erwachsene sind eher verkopft, ihr Anspruch ist ein ganz anderer.“ Auch beim Vorspielen hätten viele Erwachsene Hemmungen. Bredl sieht deutliche Unterschiede bei der Geschwindigkeit. „Bei Erwachsenen sind die Lernfortschritte und die motorische Entwicklung langsamer.“
Die meisten „Großen“ entscheiden sich für die schwarzen und weißen Tasten. „Spitzenreiter ist immer das Klavier, weil es auch den schnellen Lernerfolg verspricht“, sagt Bredl. Instrumente wie Geige oder Gitarre seien hingegen motorisch deutlich anspruchsvoller. Aber auch bei den Kindern ist Klavier der Spitzenreiter. „Klavier ist immer im Dauerhoch“, sagt Deckmann. „Und im Moment ist die Violine so gefragt wie lange nicht. Da hat David Garrett ganze Arbeit geleistet.“
An der Osterholzer Musikschule mischen die Erwachsenen in zahlreichen Ensembles mit, etwa in der Big Band oder dem Akkordeonorchester. Hannover hingegen bietet spezielle Erwachsenen-Ensembles an, die Palette reicht von Orff-Instrumenten über Jazz-Chöre bis hin zur Kammermusik-Gruppe 50plus. Auch in Cuxhaven hat sich eine Gruppe für Ü-50-Musiker zusammengefunden.
Seit ein paar Jahren wächst an vielen Schulen das Angebot im Bereich der „Musikgeragogik“, etwa für Menschen mit Demenz. „Das Verrückte ist, dass die Musik bleibt. Selbst Menschen, die ihre Sprache verloren haben, können singen“, so Bredl. Singen werde aber auch bei Kindern und Jugendlichen immer populärer.