„Flickenteppich Ganztag“: Schulform mit viel Luft nach oben

Berlin (dpa) - Gleiche Lernchancen für alle, mehr Zeit für die Förderung einzelner Kinder, willkommene Hilfestellung für berufstätige Eltern: Die Erwartungen an Ganztagsschulen waren und sind enorm hoch.

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Seit Jahren treibt die Politik den Ausbau dieser Schulform voran.

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Wie unterschiedlich die 16 Bundesländer etwa bei Lernzeiten und Personalausstattung vorgehen, legt eine vergleichende Analyse der Bertelsmann-Stiftung offen.

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Welche Rolle spielen Ganztagsschulen in Deutschland?

Bis in die 90er Jahre hinein gab es Gegenwind - besonders von konservativer Seite. Kritiker befürchteten, durch die lange Lernzeit würden Familien auseinandergerissen. Der Wunsch nach mehr Berufstätigkeit von Frauen, vor 15 Jahren dann das miserable Abschneiden deutscher Schüler beim PISA-Vergleichstest brachten die Wende - und ein vier Milliarden Euro teures Ausbauprogramm. Inzwischen verkünden Politiker stolz, dass Ganztagsschulen fest verankert seien. In Zahlen: An sechs von zehn Schulen gibt es solche Angebote, genutzt von 2,7 Millionen der elf Millionen Schüler in Deutschland (2014). Unterschieden wird zwischen offenen Formen, die sich lediglich als Angebot verstehen (zwei Drittel), und gebundenen Formen - hier müssen Schüler am Nachmittagsprogramm teilnehmen.

Was versprechen sich Experten vom Ganztagsunterricht?

Fachleute knüpfen hohe Erwartungen an den längeren gemeinsamen Unterricht. „Die Ganztagsschule hat das Potenzial, Nachteile, die Kinder im Elternhaus haben, abzufedern und so die Chancengleichheit zu verbessern“, sagt etwa der renommierte Bildungsforscher Klaus Klemm, der am Bertelsmann-Report federführend mitarbeitete. Er favorisiert gebundene Angebote, um den Unterricht zu entzerren. Studien haben gezeigt, dass dann auch zunehmend kostenlose Nachhilfeangebote zur Verfügung stehen.

Gibt es Erkenntnisse, was Ganztagsunterricht wirklich bringt?

Wer bis zum späten Nachmittag an der Schule ist, wird nicht unbedingt klüger - aber womöglich ein freundlicherer, ausgeglichenerer Mensch: So lässt sich die Mitte April veröffentlichte „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen“ (StEG) für das Bundesbildungsministerium zusammenfassen. Die vierjährige Forschungsarbeit an 140 Grundschulen und Schulen der Sekundarstufe fand positive Wirkungen auf soziale Kompetenz, Motivation und Selbstbild der Schüler - wohlgemerkt: bei guten Ganztagsangeboten. Weiter heißt es: „Unmittelbare Effekte auf die Entwicklung ihrer fachlichen Kompetenzen zeigten sich jedoch nicht.“ Die Studie fordert, Schulen sollten stärker auf die Qualität ihrer Ganztagsangebote achten - eine schnöde Hausaufgabenbetreuung durch Ehrenamtliche reiche nicht. Denn wichtig sei die Verzahnung mit den Unterrichtsthemen. Doch daran hapert es oft.

Gibt es große Unterschiede zwischen Ganztagsschulen in den Ländern?

Die Bandbreite ist riesig, wie der aktuelle Ländervergleich für gebundene Ganztagsschulen zeigt. Bei Zusatz-Lernzeiten und -Personal sei Deutschland „ein Flickenteppich“, bilanziert die Stiftung. Ein Beispiel für das Auseinanderklaffen der Angebote: Während Ganztagsschule für hessische Schüler bis zu 22 Extra-Wochenstunden bedeutet, sind es in vielen ostdeutschen Ländern ganze vier. Das von den Ländern für zusätzliches Fachpersonal bereitgestellte Geld schwankt ebenfalls dramatisch. Hinzu kommt: Zusätzliche Lernzeit und Personalausstattung sind in vielen Bundesländern nicht aufeinander abgestimmt. Eine gute Relation „bieten in allen Stufen gebundener Ganztagsschulen lediglich Berlin und das Saarland“, heißt es.

Was heißt das für die Ganztagsangebote?

Wenn nur wenig Extra-Zeit und kaum zusätzliches Fachpersonal zur Verfügung stehen, wird das nicht viel mit der Ganztagsschule, kritisieren Bildungsforscher. „Das ist dann nah an reiner Betreuung. Es hilft berufstätigen Eltern - aber dass dort etwas pädagogisch Förderliches geschieht, ist nicht zu erwarten“, sagt Studien-Autor Klemm. Auch Bildungsökonom Ludger Wößmann vom ifo Institut meint, das bisherige Ganztagsschulsystem sei oft kaum mehr als eine „Verwahrung der Kinder nach dem Mittagessen“. Entzerrte Bildungsangebote und viel Zeit für individuelles Lernen seien weiterhin eine Ausnahme - und das, obwohl bei Elternumfragen Ganztags-Befürworter mittlerweile deutlich in der Mehrheit seien.

Was können die neuen Studien bewirken?

Es wird nicht gleich Geld für Ganztagsschulen regnen in den Ländern, aber die Forschungsergebnisse sprechen doch eine deutliche Sprache: Mehr Zusatz-Personal und mehr Unterrichtsqualität sind flächendeckend nötig. Die Bildungsgewerkschaften werden nicht locker lassen: „Es ist ein unhaltbarer Zustand, dass die Bildungschancen eines Kindes noch immer stark abhängig sind von dem Bundesland, in dem es zur Schule geht“, sagt Udo Beckmann vom Verband Bildung und Erziehung (VBE). Er fordert „verbindliche Standards“. Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) im eigentlich gut benoteten Berlin verlangt für Ganztagsschulen einen Qualitätsschub: „Da müssen wir Geld in die Hand nehmen“, sagt GEW-Landeschefin Doreen Siebernik.