Kampf der Langeweile - Vor dem Jobausstieg neues Projekt suchen
Ludwigsburg (dpa/tmn) - Jahrelang freuen sich viele auf die Rente. Dann ist sie da - und mancher fällt in ein Loch. Für einen ruhigen Lebensabend auf der Couch sind die meisten viel zu fit. Experten empfehlen, sich im Alter eine neue Aufgabe zu suchen.
Jeder Tag ein Sonntag, ausschlafen so lang man will, und vor allem: Kein Chef mehr, der nervt. Viele Arbeitnehmer malen sich die Rente aus wie das Paradies auf Erden. Doch Eckart Hammer vergleicht die Rente lieber mit den Flitterwochen: Die erste Zeit ist großartig. Dann kommt oft der ernüchternde Ehealltag, sagt der Professor für Sozialmanagement an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg. Vor allem für Männer bricht mit der Arbeit häufig der zentrale Lebensinhalt weg. Experten raten deshalb, sich langfristig auf die Rente vorzubereiten. Dann können Beschäftigte diese Lebensphase auch wirklich genießen.
„Der Ruhestand ist gerade für Männer oft eine Lebenskrise“, sagt Hammer. „Und das, obwohl sich die meisten lange darauf freuen, endlich frei zu sein.“ Viele hätten aber falsche Vorstellungen. „Die denken immer: Ich habe noch ganz viele Projekte, die ich schon lange vor mir herschiebe. Etwa Bücher lesen, große Reisen machen oder den Keller aufräumen. Aber irgendwann ist das alles gemacht, der Keller ist aufgeräumt, und dann kommt eine große Leere.“
Frauen hätten durch die Kindererziehung oder die Pflege von Angehörigen häufig ohnehin schon Brüche in ihrer Erwerbsbiografie. Der Rentenbeginn sei für Männer dagegen oft die erste existenzielle Lebens- und Sinnkrise, sagt Hammer.
Das Problem sei, dass viele durch die jahrzehntelange Fokussierung auf den Job kaum noch wissen, was sie mit ihrem Leben außerhalb der Arbeit anfangen können, erläutert der Karriereberater Jürgen Hesse. Um genau das zu vermeiden, müssten Berufstätige sich in Gedanken frühzeitig auf den Lebensabend vorbereiten. „Man sollte versuchen, langsam in den Ruhestand hinüberzugleiten, zum Beispiel indem man seine Arbeitszeit nach und nach reduziert.“
„Man muss sich klarmachen, dass ein glückliches Leben nicht nur auf der Couch vor dem Fernseher stattfinden kann“, betont Herb Stumpf, der sich als Coach auf ältere Arbeitnehmer konzentriert hat. „Menschen brauchen Ziele und einen Lebensinhalt. Und sie brauchen soziale Kontakte.“ Ohne das sei es kaum möglich, den Ruhestand wirklich zu genießen.
Betätigungsmöglichkeiten im Alter gibt es viele: Manche Senioren arbeiten bei der Telefonseelsorge oder im Hospizdienst, andere übernehmen Verantwortung in einem Verein oder helfen Kindern aus Migrantenfamilien. Um den passenden Bereich für sich zu finden, sollten Ältere in Ruhe in sich hineinhorchen, rät Stumpf. „Man sollte da weit zurückdenken bis in die Kindheit und Jugend: Welche Träume hatte ich damals? Welchen Hobbys und Interessen wollte ich immer nachgehen, ohne dass ich mir das erfüllen konnte?“
Wer seinen Job nicht ganz aufgeben will, kann auch als Senior-Experte arbeiten. Über Vermittler - wie den Senior-Experten Service in Bonn - werden Ruheständler teilweise weltweit bei kniffligen Problemen zurate gezogen.
„Wir werden heute in einem Lebensalter in den Ruhestand geschickt, in dem wir eigentlich noch viel zu jung sind für Ruhe. Da hat man oft noch 15 oder 20 Jahre, die man in gutem körperlichem Zustand genießen kann“, sagt Hammer. Diese Zeit gelte es, zu nutzen. Deshalb brauchten Ältere nach dem Job noch einmal ein zweites großes Projekt im Leben.
Literatur:
- Eckart Hammer: „Das Beste kommt noch - Männer im Unruhestand: Erfahrungen - Orientierungen - Tipps“, Herder Spektrum, 2012, 180 Seiten, 9,99 Euro, ISBN-13: 978-3451064951
- Herb Stumpf: „Wenn das Wochenende 7 Tage hat: Berufsende - Rente - Älterwerden ...und alles, was Sie dazu wissen sollten“, Books on Demand, 2011, 272 Seiten, 19,95 Euro, ISBN-13: 978-3837062380
- Jürgen Hesse, Hans Christian Schrader: „Zu jung für die Rente, zu alt für den Job?: Warum ältere Arbeitnehmer wieder gute Chancen haben“, Stark Verlagsgesellschaft, 2008, 176 Seiten, ISBN-13: 978-3821859590