Keine Angst vor Referaten: In Debattierclubs Rhetorik lernen
Berlin (dpa/tmn) - Der Mund ist trocken, die Hände zittern und der rote Faden ist auch verloren: Vor anderen zu reden, fällt vielen Studenten schwer. In Debattierclubs können sie die freie Rede lernen.
Das hilft später nicht nur im Job.
Tanja Hille steht vor dem Tisch und schiebt die darauf liegenden Papiere hin und her. Noch reden die Studenten im Seminarraum an der Berliner Universität und rücken ihre Stühle. Statt anzufangen, wartet Hille in aller Seelenruhe ab, bis es ganz ruhig ist. Dann schaltet sie ihre Stoppuhr an und legt los: „Ich möchte fünf Punkte vortragen“, erklärt sie. „Doch zuvor ein paar Ausführungen zu den Argumenten der Gegenseite.“
Der studentische Debattierclub Berlin Debating Union diskutiert an diesem Abend über ein medizinisches Thema: Soll der Arzt den Partner informieren, wenn er weiß, dass sein Patient eine sexuell übertragbare Krankheit hat? Präsidentin Hille argumentiert dagegen. Mit lauter Stimme trägt sie ihre Argumente vor und schaut dabei in die Runde. Trotz Kopfschütteln der Gegenseite und eingeworfenen Fragen: Die 22-Jährige lässt sich nicht aus dem Konzept bringen.
Gut reden und argumentieren zu können, ist im Studium und im Job vielleicht so wichtig wie nie. „Die Zahl der Situationen, in denen sich Studenten und Berufstätige verkaufen müssen, nimmt tendenziell zu“, sagt Joachim Sauer, Präsident des Bundesverbands der Personalmanager. Aber die klügsten Gedanken nützen nicht viel, wenn Studenten sie nicht ausdrücken können. Eine Möglichkeit, sich auszuprobieren, sind studentische Debattierclubs.
In Deutschland sind sie noch ein relativ junges Phänomen. Während sie in England schon seit dem 19. Jahrhundert existieren, wurde der erste deutsche Club 1991 in Tübingen gegründet. Inzwischen gibt es bundesweit rund 70 studentische Clubs. „Wir schätzen, dass zwischen 1600 und 1700 Studierende in der Szene aktiv sind“, sagt Tobias Kube, Vizepräsident des Verbands der Debattierclubs an Hochschulen. Wer will, kann inzwischen fast jedes zweite Wochenende irgendwo in Deutschland an einem studentischen Debattierturnier teilnehmen. Es gibt sogar deutsche, Europa- und Weltmeisterschaften.
Die Debatte funktioniert in den Grundzügen so: Per Los wird bestimmt, wer für und wer gegen eine bestimmte These argumentiert. Im Wechsel treten dann die Redner an. Sie haben jeweils sieben Minuten Zeit, ihre Argumente vorzutragen. Dann ist die Gegenseite dran. Am Ende bestimmt eine Jury, wer überzeugender war.
Bei der Berlin Debating Union ist nach einem Vortrag der Befürworter nun das Team von Präsidentin Hille wieder dran. Kai Dittmann, 27, tritt vor das Pult. Vor wenigen Monaten gewann er in Chennai in Indien die Weltmeisterschaft. Stück für Stück zerlegt er nun die Gegenseite.
Für Dittmann ist es mittlerweile das sechste Jahr im Debattierclub. Seine allererste Rede hielt er zum Thema: Soll Prostitution verboten werden? „Der Mund war trocken und die Knie haben gezittert. Ich war froh, als es vorbei war“, erinnert er sich. Auch Präsidentin Tina Hille hatte am Anfang großen Respekt vor den Treffen. Es passierte auch häufiger, dass sie bei Minute vier mit ihren Argumenten durch war. Doch beide merkten auch, dass sie rasch Fortschritte machten. „Man lernt nicht nur reden, sondern auch denken“, sagt Hille. Wer selbst einmal mitmachen will, brauche keinerlei Vorkenntnisse, versichern beide.
Am Ende spricht die Jury ihr Urteil. Es scheint für keinen eine Überraschung zu sein: Das Team aus Weltmeister Dittmann und Präsidentin Hille liegt auf Platz eins. Als sie sich voneinander verabschieden, ist klar: Debattieren kann ganz schön lustig sein.