Maden und Müllsäcke: Unterwegs mit einem Tatortreiniger
Reutlingen (dpa) - Tim Puschendorf zieht die Gurte seiner Gasmaske fest. Er setzt die Kapuze seines weißen Schutzanzuges auf den Kopf und öffnet die Wohnungstür. Der 28-Jährige ist Tatortreiniger. Er kommt, wenn die Polizei mit ihrer Arbeit fertig ist und die Bestatter längst weg sind.
Ein Tatortreiniger muss die Spuren des Sterbens beseitigen: Blut, manchmal Ungeziefer, Gestank. Wo sich andere angewidert abwenden, packt er an. Puschendorf - ein Mann mit dem blonden Drei-Tage-Bart, und Stoppelfrisur - zuckt mit den Schultern. „Die Arbeit muss ja gemacht werden.“ Der Geruch ist die schlimmste Spur, die der Tod hinterlassen kann, sagen Puschendorf und sein Kollege bei einem Einsatz nahe Reutlingen.
Die mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete NDR-Comedyserie „Der Tatortreiniger“ hat die Aufmerksamkeit auf den Beruf gerichtet. Schauspieler Bjarne Mädel lernt darin als Tatortreiniger Schotty mal den Verflossenen eines Opfers kennen oder macht ein Päuschen bei der Veganerin in der Nachbarwohnung - der Hamburger schnackt mehr als dass er putzt und verirrt sich oft in tiefgründige Gespräche. Was bewirkt die Sendung? Und wie realistisch ist sie?
Puschendorf steht vor der Wohnungstür, raucht und wartet. Drinnen neutralisiert das vernebelte Wasserstoffperoxid den schlimmsten Geruch, der an Erbrochenes und alten Fisch erinnert. Dann: Lüften, Pinienduft versprühen, loslegen. In einer Ecke des Wohnraums hat sich Parkett auf rund vier Quadratmetern mit Blut und Körperflüssigkeit vollgesogen, ein Brett biegt sich nach oben. Der Bewohner hat sich das Leben genommen und wurde erst zwei Wochen später entdeckt, wie Puschendorfs Juniorchefin Rebecca Kawasch vorab erfahren hat. Der Reinigungstermin ist noch mal rund zwei Wochen später. Die Wanduhr im Wohnzimmer läuft noch auf Winterzeit.
„Das ist noch gar nichts“, sagt Puschendorf. Er habe schon ein Badezimmer voller Maden gesehen. „Vor der Tür Kopf aus, rein, arbeiten, nachher raus, Kopf wieder an. Nicht nachdenken“, sagt er. Alles, was er wissen muss, steht auf einem Zettel, der auf einem Klemmbrett fixiert ist: Wohnung ausräumen, Bodenbeläge und Tapeten entfernen, weil sie den Geruch aufgenommen haben. Drei Tage sind veranschlagt, um die Spuren dieses Todes zu beseitigen.
Anders als im TV sind die Reiniger hier immer zu zweit unterwegs. „Aus Sicherheitsgründen, falls mal einer umkippt“, erklärt der Auszubildende Marco Schenk. Beim Entrümpeln machen die beiden Faxen, reden über Autos. „Über das, was passiert ist, reden wir nicht. Das sieht man ja“, sagt Puschendorf.
Sein Kollege schüttelt blaue Müllsäcke auf. Alles, was mit Blut oder Leichenflüssigkeit in Kontakt gekommen ist, verschwindet darin und wird später verbrannt. „Hier duftet's aber“, sagt Puschendorf, als er Kleidungsstücke aus der Lache sammelt.
Die lässige Art von Schotty aus dem Fernsehen besteht also den Praxistest. Aber in der Einzimmerwohnung hängt neben dem Geruch das Unbehagen in der Luft. Warum hat sich hier einer das Leben genommen? Neben einem Klavier, mehreren Paar Sportschuhen, einem Fahrradhelm, finden sich ein Brief vom Jobcenter, eine Kornflasche unter dem Tisch, auf einer Kommode die ausgedruckte Broschüre einer Entzugsklinik.
Neugierige Nachbarn und geschwätzige Angehörige wie in der Fernsehserie gibt es in der ruhigen Siedlung nicht. Puschendorf dürfte ohnehin nichts sagen, Diskretion gehört zum Auftrag.
Die Reutlinger Firma Kawasch, für die der 28-Jährige arbeitet, hat in der ländlichen Region südlich von Stuttgart nur alle paar Wochen einen Tatort zu reinigen. Selbsttötungen sind häufiger als Kriminalfälle. Puschendorf putzt sonst hauptsächlich Fassaden und Fenster. Die Serie Tatortreiniger hat er nicht geschaut - „keine Zeit zum Fernsehen“.
Dem Handwerk der Gebäudereiniger hat die Serie hingegen gut getan, wie der Geschäftsführer des Bundesinnungsverbandes, Johannes Bungart, sagt. „Die Sendung zeigt, dass es eine schwierige Arbeit ist, aber eine sehr notwendige Arbeit.“ Wie viele Tatortreiniger es bundesweit gibt, lässt sich dem Verband zufolge schwer beziffern, da es sich nicht um einen klassischen Ausbildungsberuf handelt. In der Regel machen Gebäudereiniger dazu eine Weiterbildung.
Was vom Leben in der Einzimmerwohnung übrig ist, darf die Firma Kawasch weiterverwerten oder entsorgen. Das meiste wird spätestens nach drei Tagen in einem Container verschwunden sein. Nur eins bringt Puschendorf nicht übers Herz: Eine Werkezeugkiste, die offen im Wohnzimmer steht, in den Müll zu werfen. „Die kommt ins Auto“, sagt er. „Gescheites Werkzeug kann ich bei der Arbeit immer gebrauchen.“