Selbstständigkeit in neuer Heimat: Migranten als Firmengründer
Frankfurt/Hameln (dpa) - Der Lust auf ein eigenes Unternehmen folgt häufig der Frust über die vielen Hürden. Jeder dritte Existenzgründer gibt nach spätestens drei Jahren auf. Migranten haben es oft noch schwerer.
Die kritische Phase hat Daria Bojkov fast überstanden. Seit zwei Jahren ist die Unternehmensgründerin mit ihrer Seniorentagespflege im niedersächsischen Hameln „am Markt“. Die ersten drei Jahre gelten gemeinhin als schwierigste Zeit für Jungunternehmer - zumal bei Gründern mit ausländischen Wurzeln wie Bojkov. Nach neuen Zahlen der Frankfurter Förderbank KfW beträgt die Abbruchquote bei Migranten, die sich selbstständig gemacht haben, nach drei Jahren 39 Prozent. Bei Gründungen allgemein ist jedes dritte Unternehmen (30 Prozent) nach 36 Monaten wieder vom Markt verschwunden.
Ein ganzes Bündel an schwierigeren Voraussetzungen führe „zu dem deutlich erhöhten Abbruchrisiko von Migranten“, erklärt die KfW: So seien Existenzgründer unter den Migranten zum Beispiel im Schnitt jünger als Gründer insgesamt. Bei den bis 30-Jährigen beispielsweise liege ihr Anteil mit 48 Prozent deutlich höher als in der Gesamtschau mit 37 Prozent. Zudem sind Finanzierungsschwierigkeiten nach KfW-Erkenntnissen bei Gründern mit ausländischen Wurzeln häufiger ein Thema als bei Jungunternehmern im Allgemeinen.
Daria Bojkov, die aus der Ukraine stammt, berichtet noch von ganz anderen Hürden. „Als kleine Einzelunternehmerin musste ich mir viele Informationen selbst beschaffen. Ich habe das praktisch alleine durchgeboxt.“ Dass Deutsch nicht ihre Muttersprache ist, machte die Sache nicht einfacher: Mancher Bankberater habe sie unverblümt aufgefordert, sie solle ihre Unterlagen vorsichtshalber auf Rechtschreibfehler überprüfen lassen. „Im Grunde genommen sind wir es gewohnt, dass es für uns als Einwanderer schwieriger ist als für Deutsche“, sagt die 36-Jährige, die seit 1996 in Deutschland lebt.
Heute führt die gelernte Krankenschwester, die sich neben ihrem Beruf in Deutschland zur Fachkraft für Leitungsaufgaben in der Pflege weiterbildete, ein sechsköpfiges Team. Ihre „Tagespflege in der Altstadt“ ist nach ihren Angaben so gefragt, dass inzwischen auch ihr Mann - ebenfalls gebürtiger Ukrainer - mitarbeitet.
Handel und Dienstleistungen - etwa Gesundheits- und Pflegeservices - sind traditionell wirtschaftliche Zweige, in denen viele Gründer sich versuchen. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) schreibt in seinem „Gründerreport 2014“: „85 Prozent aller Gründer in der IHK-Gründungsberatung wollen Händler werden (23 Prozent) oder ein Service-Unternehmen aufbauen (62 Prozent).“
Seit Jahren spielen Menschen aus der Türkei, Russland, Polen, Italien oder anderen Ländern für die Gründerszene in Deutschland eine entscheidende Rolle: Hinter etwa jeder fünften Existenzgründung in Deutschland in den vergangenen Jahren standen Migranten. Nach KfW-Angaben blieb der Anteil von Migranten an den Gründern in Deutschland in den vergangenen drei Jahren weitgehend stabil: 2013 liege er mit 21 Prozent nach einem leichten Rückgang 2012 (19 Prozent) wieder knapp unter dem Wert aus dem Jahr 2011 (22 Prozent).
„Die Gründungsneigung unter Migranten ist damit etwas stärker als in der Bevölkerung insgesamt“, folgert die Förderbank. Im vergangenen Jahr wagten insgesamt 868 000 Menschen in Deutschland den Schritt in die Selbstständigkeit und damit 93 000 mehr als ein Jahr zuvor.
Bei Gründern mit ausländischen Wurzeln sei „insbesondere die Bereitschaft, Mitarbeiter einzustellen, (...) positiv hervorzuheben“, schreibt die KfW. Im Durchschnitt der Jahre 2008 bis 2013 beschäftigten vier von zehn (42 Prozent) Migranten im Rahmen ihrer Existenzgründung Mitarbeiter. Insgesamt treffe dies nur auf 29 Prozent der Gründer zu.
„Mit ihrer höheren Neigung, sich selbstständig zu machen und dabei auch Arbeitsplätze zu schaffen, stellen Migranten eine tragende Säule des Gründungsgeschehens in Deutschland dar“, bilanziert die KfW.
Gerade in Zeiten steigender Zuwandererzahlen ist dieser Beitrag nicht zu unterschätzen: Im Jahr 2013 zogen nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes etwa 1,226 Millionen Menschen nach Deutschland - so viele wie seit 20 Jahren nicht. Unter dem Strich kamen 437 000 mehr Menschen in die Bundesrepublik als ihr den Rücken kehrten - viele, weil sie auf eine bessere Zukunft hoffen.
„Ich kann nachvollziehen, dass die ersten zwei bis drei Jahre der kritische Zeitraum für einen Unternehmensgründer sind“, sagt Daria Bojkov. „Es ist schwierig. Aber ich sehe die Entwicklung auf dem Gesundheitsmarkt eher so, dass es Sinn macht, solche Angebote zu machen.“