Steiniger Aufstieg: Herkunft bestimmt Bildungsweg
München (dpa/tmn) - In Deutschland studieren weit mehr Akademikerkinder als Kinder von Eltern, die nicht studiert haben. Das kritisiert der Autor und Journalist Marco Maurer in seinem Buch „Du bleibst, was du bist“.
Für seine Recherche traf Maurer Bildungsaufsteiger wie den Grünen-Chef Cem Özdemir oder den Bahnchef Rüdiger Grube. Im Interview spricht Maurer über die Ungerechtigkeit des deutschen Bildungssystems, und zeigt, wie sich Kinder und Familien ohne akademischen Hintergrund für ihre Ziele starkmachen können.
Ihr Buch heißt „Du bleibst, was du bist“. Was bedeutet das?
Marco Maurer: Laut der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks beginnen 77 Prozent der Akademikerkinder ein Studium, bei nicht-akademischen sind es 23 Prozent. Wir sagen schon Kindern im Alter von zehn Jahren: „Ihr seid nicht gut genug für die Realschule, fürs Abitur oder insgesamt für eine weiterführende Schule.“ Und das geht aufs Selbstwertgefühl, zum Beispiel bei Hauptschülern. Die trauen sich dann gar keine Karriere mehr zu. Die größte Hürde für den Bildungsaufstieg ist in Deutschland aber das eigene Milieu. Wenn dort klassische Bildung nicht wichtig ist, wird oft auch keine akademische Karriere angestrebt. Und dann haben wir eben auch ein sehr selektives Schulsystem.
Was machen Eltern, die ein begabtes Kind haben, das nicht gefördert wird?
Maurer: Was immer hilft: sich Autoritäten zu widersetzen. Das heißt, Schulempfehlungen nicht annehmen. Ist doch ganz klar: Wenn ein Akademikerkind nur eine Realschulempfehlung bekommt, da kommt die Mutter vorbei und droht einem im schlimmsten Fall mit einem Rechtsanwalt. Die Bildungsfernen schlucken das oft einfach. Also: Sensibel für solche Dinge sein, sich nicht alles sagen lassen. Notfalls kann man auch als Beobachter eingreifen. So funktionierte es bei Cem Özdemir. Als dessen Lehrerin bei einem Elternabend zu seiner Mutter sagte: „Bei Cem ist es doch egal, ob er sitzenbleibt oder nicht. Den schicken sie sowieso zurück in die Türkei“, half der Nachbar, ein Lehramtsreferendar. Er war empört über den Vorfall und überzeugte die Lehrerin, Özdemir in die zweite Klasse zu versetzen.
Welche Hürden gibt es für ein Kind aus einem bildungsfernen Milieu nach dem Abitur?
Maurer: Wenige aus nichtakademischen Milieus gehen an die Uni. Das liegt daran, dass man sich oft nicht zutraut, sich das Studium finanziell leisten zu können. Es kostet noch mehr Kraft, wenn ich neben meinem Studium arbeite und Geld dazu verdienen muss. Viele brechen ihr Studium dann ab. Die anderen haben oft ihre Eltern und damit Kapital im Rücken.
Was können Studenten tun, um ihre Lage zu verbessern?
Maurer: Am besten, man beginnt in der Branche, in der man später mal arbeiten möchte, niederschwellig zu arbeiten. Dort kann man erstes Geld verdienen und schon mal ein Netzwerk knüpfen. Das heißt: eher nicht in der Kneipe neben dem Studium arbeiten. Denn wichtig ist, dass man schon mal ein bisschen Geld verdient und in die Branche reinkommt, dort Leute kennt.
Wie wichtig sind Netzwerke, die man durch seine Eltern hat?
Maurer: Es ist kein Geheimnis, dass man durch Netzwerke Praktika bekommt oder sie den Jobeinstieg leichter machen können. Durch mein Netzwerk habe ich auch viele Vorteile: Meine Mutter kann mir umsonst die Haare schneiden, mein Onkel bringt mir das Holz in den Keller. Aber für meine Karriere ist das kein förderliches Netzwerk. Es ist also eine Hürde, dass man erstmal auf kein Netzwerk zurückgreifen kann - das muss man sich immer erarbeiten. Und das kostet Energie.
Welche Programme können Eltern helfen?
Maurer: Eine Sache sind Mentorenprogramme für Schüler. Da kommen Menschen aus bildungsfernen Milieus mit jungen Erwachsenen wie Studenten zusammen. Soziale Einrichtungen sollten mit solchen Mentorenprogrammen zusammenarbeiten. Und wenn die Eltern selbst merken, ihr Kind wächst in einem eher schlichten Umfeld auf und soll da rauskommen, dann kann man sich kostenlos an so ein Programm wenden. Auch die Initiative Arbeiterkind.de hilft, junge Menschen mit Akademikern zu vernetzen.
Zur Person: Marco Maurer (35) ist Sohn einer Friseurin und eines Kaminkehrers. Nach einer Lehre zum Molkereifachmann holte er das Abitur nach, studierte und arbeitet heute als Journalist. In einem Artikel für die Wochenzeitung „Die Zeit“ aus dem Jahr 2013 kritisierte er erstmals die mangelnde Chancengleichheit in Deutschland und erregte damit große Aufmerksamkeit.
Literatur:
Maurer, Marco: Du bleibst, was du bist, Droemer Knaur 2015, 18,00 Euro, ISBN-13: 978-3-426-27633-4