Üben beim Landarzt - Praxistage für Medizinstudenten

Köthen (dpa) - Schon bald wird es an Landärzten fehlen, in Sachsen-Anhalt und anderswo. Die Universität Halle will nicht tatenlos zusehen. Sie schickt Medizinstudenten in die Provinz, wo ihnen der Beruf mit Hilfe eines Mentoren schmackhaft gemacht wird.

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Adrian Ebert tastet vorsichtig die Schulter der Patientin ab. Jörg Krause blickt dem jungen Mann im weißen Kittel über die Schulter. „Was hat sie, Adrian?“, fragt er. „Puh.“ Eine Pause folgt. Krause hakt nach: „Eine eingefrorene Schulter vielleicht?“ Die Patientin guckt fragend. „Das ist eine Art Entzündung“, erklärt er. Und fragt weiter: „Was würdest du geben?“ Die Antwort kommt schnell: „Ibuprofen“ - ein Schmerzmittel. Der 23-jährige Ebert ist Medizinstudent. In Krauses Praxis wird er auf seine berufliche Zukunft vorbereitet - nicht ohne Hintergedanken.

Seit sieben Semestern fährt der 23-Jährige mindestens zweimal im Halbjahr von seiner Wohnung in Halle in Sachsen-Anhalt in die kleine Arztpraxis ins ländlich geprägte Köthen. Neben dem theoriebezogenen Medizinstudium kann er dort hautnah am Patienten arbeiten. „Das ist eine wichtige Erfahrung“, sagt er. Die halbstündige Fahrt nimmt er dafür gern in Kauf. Mit seinem Mentor Krause an der Seite darf er echte Patienten untersuchen, Tests auswerten und Diagnosen stellen.

Der Student profitiert von einem Projekt der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Seit 2011 werden unter dem Motto „Klasse Allgemeinmedizin - Mentoren für angehende Landärzte“ junge Studenten aufs Land geschickt. Das Besondere im Vergleich zu anderen Medizin-Praktika: Die Studenten haben von Anfang an einen Praktiker als Mentoren zur Seite, der sie gezielt auf den Beruf des Landarztes vorbereiten soll. Die Initiative „Deutschland - Land der Ideen“ und die Deutsche Bank zeichneten das Projekt im November als Bundessieger in der Kategorie Bildung aus.

„Nicht ohne Hintergedanken wird das gemacht“, sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Allgemeinmedizin der Universität, Susanne Schnell. Die jungen Medizinstudenten sollen im besten Fall selbst einmal Landarzt werden. Denn Allgemeinmediziner in der Provinz dürften bald Mangelware sein. Fast jeder Dritte Hausarzt in ländlichen Regionen ist mittlerweile 60 Jahre oder älter. Jedes Jahr scheiden doppelt so viele Hausärzte aus dem Berufsleben aus, wie sich Mediziner neu niederlassen.

Krause konstatiert: „Für ältere Patienten ist das ein Fiasko.“ Sie können oft nicht mehr selbst ins Auto steigen und in die Stadt fahren, Busse verkehren aber nur selten. Nachwuchs muss her. Das Schöne auf dem Land: Die Patientenverhältnisse sähen anders aus als in großen Städten, erläutert der Arzt. Oft werde die gesamte Familie behandelt, man kenne die sozialen Hintergründe und Krankengeschichte. Der Patient stehe im Mittelpunkt.

Ebert wird bis zum Ende seines Studiums in drei Jahren an der Seite von Krause, der auch Lehrarzt am Uni-Klinikum in Halle ist, bleiben. Was der Student danach machen möchte, weiß er noch nicht. Sein Mentor hofft, ihn bis dahin für die Arbeit in der ländlichen Idylle begeistert zu haben.