Virtuelle Hochschule bleibt eine Nische
Frankfurt/Main (dpa) - Statt morgens um acht in einem überfüllten Hörsaal einem mittelmäßigen Professor zuzuhören, wäre es doch praktisch, sich den Spitzen-Dozenten einer Elite-Uni zu Haus im Web anzusehen.
Dachte man vor ein paar Jahren. Funktioniert aber nur begrenzt.
Mancher Professor habe sich schon gefühlt „wie die Droschkengäule bei der Einführung des Automobils“, sagt Prof. Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbandes. Inzwischen habe der Hype um e-Learning, Online-Seminare und Vorlesungen im Internet einer gewissen „Ermattung“ Platz gemacht.
Bei der Jahrestagung des Hochschulverbandes in Frankfurt diskutierten Professoren und Präsidenten über „virtuelle Lernwelten an der Universität“. Dabei zeigte sich ganz deutlich, wie tief der Graben ist, der die Hochschullandschaft in dieser Frage durchzieht.
„Uni muss unzeitgemäß sein, es ist die Unzeitgemäßheit, die sie attraktiv macht“, findet ein Germanistik-Professor aus Mannheim. Prof. Jochen Hörisch stellt nicht mal seine Vorlesungen ins Netz, damit auch Studenten sie hören können, wenn sie krank sind. „So schlecht war das nicht, was wir 2000 Jahre lang gemacht haben.“
Ganz anders der Marburger Anglist Jürgen Handke. „Mein Büro sieht aus wie ein Studio“, berichtet er. Seine Vorlesungen auf Youtube hätten eine Million Klicks, seine Kurse 30 bis 50 neue Abonnenten jeden Tag. „Der Werbeeffekt für die Hochschule ist gigantisch.“
Das neueste große Ding heißt MOOC, „Massive Open Online Course“. MOOCs seien ein „Flächenbrand“ in der Hochschullandschaft, behauptet Prof. Sabina Jeschke vom Zentrum für Lern- und Wissenschaftsmanagement der RTHW Aachen. Studenten könnten in ihrem Fach die besten Profs der Welt hören oder in virtuellen Laboren Experimente durchführen, die besser seien als in der Realität. „In einer Reaktoranlage das Kühlkraftwerk abschalten - das macht man besser nicht live.“
Sich als Uni solchen Möglichkeiten zu verweigern, sei „naiv“: Wer ein Gastsemester an einer x-beliebigen Hochschule akzeptiere, müsse doch erst recht das Zertifikat des MOOCs einer US-Spitzenuniversität anerkennen. Die Unis seien gut beraten, MOOCs als Geschäftsmodell zu sehen und als Aushängeschild für die Qualität ihrer Lehre zu nutzen.
Prof. Caja Thimm vom Zentrum für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Uni Bonn ist anderer Meinung. Sie glaubt, dass web-basiertes Lernen „nur in ganz speziellen Segmenten funktioniert“: im Grundkurs Statistik, in englischer Grammatik. Damit könnten mehr Studierende erreicht werden, man könne sich die Zeit einteilen, es spare Kosten.
Dennoch ist die Medienwissenschaftlerin mit Medien im Unterricht zurückhaltend: Sie vergibt zwar Hausaufgaben per Twitter und lässt ihre Studenten Forschungsergebnisse in lehrstuhleigenen Wikis zusammentragen. In ihren Vorlesungen aber herrscht Laptop- und Smartphone-Verbot. „Da wird meist gefacebookt und getwittert, und wenn ich dann rumlaufe, klappen die alle schnell den Rechner zu.“
Der Präsident des Hochschulverbandes ist sicher: „Jetzt und in absehbarer Zukunft wird wissenschaftliche Erkenntnis ein nicht virtualisierbarer Prozess bleiben.“ Technik-Befürworterin Jeschke glaubt eher an ein Nebeneinander: Dass Unis komplett ins Netz wandern werde ebenso wenig geschehen „wie das Kino das Theater verdrängt hat“.