Eine Frage des Vertrauens
Ein Kleinstkredit kann für Menschen der Schritt aus der Armut sein. Dem Kapitalgeber beschert er zum Gewinn das gute Gewissen.
Düsseldorf. Michael P. Sommer erzählt sie gern, die Geschichte von Juanita. Der Finanzexperte hat die Tortilla-Bäckerin am Rande einer der großen Ausfallstraßen aus Mexiko Stadt getroffen. Dort verkauft sie Fladenbrote an Autofahrer, die bei ihr einen Stopp gegen den Hunger einlegen. Der Umsatz steigt beständig.
Juanita kennt auch andere Zeiten. Nach dem Tod ihres Mannes war sie mit den vier Kindern auf sich gestellt, ohne Arbeit, ohne Einkommen. Die fünf wühlten in Abfällen. Nicht einmal die paar Centavos für den Bus, um den Nachwuchs zur Schule zu schicken, konnte die Mutter auftreiben.
Da hörte Juanita von einem Mikrofinanzinstitut. Sie suchte den zuständigen Kreditsachbearbeiter auf und berichtete ihm von ihrer Geschäftsidee, die ihr beim Blick aus ihrer Wellblechhütte gekommen war. Dort hat das vielbefahrene Asphaltband eine Bucht, in der immer wieder Wagen halten.
Die energische Mexikanerin erstellte einen „Business-Plan“, ihr Konzept eines Snack-Standes überzeugte — und sie erhielt den ersten Kredit ihres Lebens. 50 US-Dollar, ein wahres Vermögen, das sie in 16 wöchentlichen Raten à 4,13 US-Dollar (Kapital, Zins und Sparrücklage) zurückzahlte.
Juanita kaufte einen Backofen, Kohlen, Maismehl und seit langer, langer Zeit wieder einmal frische Lebensmittel für die Familie. Bald schon plante sie die Anschaffung eines zweiten Ofens — und wagt inzwischen gar, von einem einfachen Lebensmittelladen, einer „Tienda“ in ihrem Armenviertel, zu träumen.
Menschen, die von niemandem Geld bekommen, zum Aufbau einer Existenz zu verhelfen — das ist für Banker Michael P. Sommer eine lohnende Investition. In doppelter Hinsicht: „Mikrofinanzierung als Anlageform erwirtschaftet eine angemessene finanzielle und obendrein eine soziale Rendite.“
Für Juanita bedeutete der Kleinstkredit den Schritt aus der Armut. Mit weitreichenden Folgen: Die Ernährungssituation verbesserte sich, der Schulbesuch der Kinder wurde möglich, und Gesundheitsversorgung blieb kein unerschwinglicher Luxus.
Mikrofinanz ist ein Sammelbegriff für unterschiedliche finanzielle Basisdienstleistungen: vor allem Kredite, Sparbücher und Versicherungen. Für Menschen, die keinerlei Sicherheiten bieten können — außer ihren Fähigkeiten und ihrer Persönlichkeit. Da findet „Kredit“ — vom lateinischen credere = glauben, vertrauen — zu seinem ursprünglichen (Wort-)Sinn zurück.
C. K. Prahalad, indischer Wirtschaftswissenschaftler
„Mikrofinanz braucht vom Kapitalgeber bis zum Kreditnehmer die gleiche Philosophie. Da ist kein Platz für Gewinnmaximierungs-Fantasien. Wer jedoch sein Geld unter ethischen Kriterien anlegen möchte, ist auf diesem Markt richtig“, sagt Sommer, der bei der Bank im Bistum Essen eG, einem Spezialinstitut für kirchliche Einrichtungen und deren Mitarbeiter, für den Bereich Ausland & Nachhaltigkeitsmanagement verantwortlich zeichnet. „Wir geben im Millionen-Bereich Kredite an Mikrofinanzinstitute in Lateinamerika, Südostasien, im Kaukasus, in Osteuropa und Afrika. Mehr als jede andere Bank in Deutschland, mit Ausnahme der staatlichen KfW.“
Sein ausgeprägtes soziales Gewissen hat ihn nicht blind werden lassen für die Wirklichkeit. Im Gegenteil. Von zahlreichen Reisen kennt er jedes Investment seiner Bank persönlich, schätzt das Risiko am liebsten selbst ab. Und muss immer wieder erfahren: „Da es sich um Menschen handelt, besteht die Gefahr des Scheiterns.“
Genau dort ordnet er auch die aktuelle Diskussion um Indien ein, wo die Mikrokreditbranche in den vergangenen Monaten in Verruf geraten ist. „Auf dem Subkontinent realisieren sich Risiken.“ Es würden politische Fehler gemacht, der Markt sei überhitzt. Doch selbst hier sei Mikrofinanz — bei allen Schwierigkeiten — ein Teil der Lösung, nicht das Problem.
„Professionell und verantwortlich umgesetzt, ist die Mikrofinanz ein erprobtes und wirkungsstarkes entwicklungspolitisches Instrument“, ist Sommer überzeugt, „wenn auch kein Allheilmittel, um die Armut dieser Welt gänzlich abzuschaffen.“