Allein unter vielen: Einsamkeit betrifft nicht nur Singles
Bochum (dpa/tmn) - Der Partner stirbt, der Freundeskreis wird immer kleiner: Vor allem Senioren fürchten sich davor, irgendwann alleine dazustehen. Doch Einsamkeit hat nichts mit dem Alter zu tun.
Einsamkeit hat viele Gesichter. Manche Menschen sitzen alleine in ihrer Wohnung, ihnen fehlt jemand zum Reden. Andere leben mit einem Partner zusammen, haben Freunde und Kinder, fühlen sich aber trotzdem einsam. Alter allein ist kein Risikofaktor, auch wenn viele Menschen Angst davor haben, später einmal einsam zu sein. Hoffnungslos ausgeliefert muss man sich diesem Zustand aber nicht fühlen.
„Einsame Menschen gibt es in jedem Alter“, sagt Mechthild Niemann-Mirmehdi, die am Gerontopsychiatrischen Zentrum der Charité im St. Hedwig-Krankenhaus in Berlin arbeitet. „Oft ist es nicht das Alter, das zu Einsamkeit führt, sondern die Biografie“, ergänzt Prof. François Höpflinger, Soziologe an der Universität Zürich. Wer sich zum Beispiel über Jahrzehnte nur auf den Partner konzentriert und keine Freundschaften pflegt, laufe Gefahr, irgendwann einsam zu sein.
Aber auch Menschen, die nur für den Job leben, riskieren, als Rentner einsam zu werden. „Berufliche Kontakte verwischen schnell“, sagt Prof. Höpflinger. Hinzu kommt, dass Umbrüche im Leben zu Gefühlen von Einsamkeit führen können. Beispiel Renteneintritt: „Wenn alle sagen: 'Freu dich doch, jetzt hast du viel Zeit', ich mich aber nicht darauf freuen kann, fühle ich mich schnell isoliert und einsam“, erklärt Caroline Bohn, die ihre Doktorarbeit über Einsamkeit geschrieben hat und in Bochum ein Coaching-Institut betreibt.
Es ist ein Irrglaube, dass nur alleinstehende Menschen einsam sind. „Man kann unter vielen Menschen einsam sein, wenn man sich nicht zugehörig fühlt“, sagt Bohn. „Einsamkeit trotz Geselligkeit, selbst Einsamkeit zu zweit, kann mehr weh tun, als allein und einsam zu sein“, erklärt Niemann-Mirmehdi.
Zwar ist nur eine Minderheit älterer Menschen einsam. Und ihr Anteil hat sich in den vergangenen 30 Jahren verringert, sagt Prof. Höpflinger. Doch Ältere sind häufiger mit Situationen konfrontiert, die zu Einsamkeitsgefühlen führen können. An erster Stelle steht der Verlust von nahestehenden Personen.
Außerdem nehmen im Alter Erkrankungen zu. Krankheiten - ob seelisch oder körperlich - können zu Einsamkeit führen. „Die Menschen ziehen sich häufiger zurück“, sagt Prof. Höpflinger. Manche haben nicht mehr die Kraft, sich um Freundschaften zu kümmern. Andere sind körperlich eingeschränkt und brauchen Hilfe, wenn sie die Wohnung verlassen möchten.
Gefühle von Einsamkeit lassen sich nicht verhindern, denn sie können jeden treffen. Es gibt aber Möglichkeiten, das Risiko zu verringern. „Pflegen Sie Kontakte“, rät Prof. Höpflinger. „Warten Sie nicht darauf, dass sich Ihre Kinder melden, sondern rufen Sie selbst an.“ Als Rentner sei es wichtig, aktiv zu bleiben und unter Menschen zu kommen. Wer nicht viel reden möchte, fühlt sich möglicherweise bei einer Schachgruppe wohl, wer regelmäßige Treffen scheut, in einer Wandergruppe, die ab und zu Ausflüge unternimmt.
Und wenn man sich trotzdem einsam fühlt? „Dann versuchen Sie, damit umzugehen“, rät Bohn. „Akzeptieren Sie, dass die Einsamkeit im Moment zu Ihrem Leben dazugehört und sorgen Sie gut für sich.“ Das können kleine Handlungen sein: Wer gerne draußen ist, der kann das Fenster öffnen und bewusst die frische Luft atmen. Und wer es gerne warm hat, dem tut vielleicht ein heißes Bad gut.