Am Boden bleiben: „Helikopter-Eltern“ schaden ihren Kindern

Hamburg (dpa/tmn) - Im Dunkeln darf das Kind nicht aus dem Haus, zur Schule wird es gefahren: Übervorsichtige Eltern tun ihrem Nachwuchs keinen Gefallen. Denn sie übertragen eigene Ängste auf ihre Kinder.

Selbstbewusste Söhne oder Töchter ziehen sie so nicht heran.

Sie wollen alles richtig machen - und genau das ist falsch. Übervorsichtige Eltern möchten ihr Kind perfekt erziehen und ihm jede unangenehme Erfahrung ersparen. Wichtige Fähigkeiten kann der Nachwuchs so nur schwer entwickeln: Selbstvertrauen, Durchhaltevermögen, den Umgang mit Konflikten und Ängsten. „Helikopter-Eltern“ werden solche Mütter und Väter genannt, der Begriff stammt aus den USA: Der Polizeihubschrauber kreist über dem gesuchten Objekt, die Eltern umschwirren ständig ihr Kind.

Der Hirnforscher Ralph Dawirs aus Erlangen spricht hier von „Einmischeritis“ der Eltern. „Die Gründe sind komplex“, sagt er. Viele davon liegen in der gesellschaftlichen Veränderung: Es gibt immer weniger Kinder, auf die sich nun alles konzentriert. Früher lebte der Nachwuchs häufiger in Großfamilien, die Kinder in dem Viertel spielten zusammen, auch die Nachbarn schauten mal nach dem Rechten. Die heutigen Eltern können darauf oft nicht mehr bauen, der Druck auf sie ist größer geworden.

Hinzu kommt, dass Entscheidungen aus dem Bauch heraus bei Erziehungsfragen nicht modern sind. Es wird eher gegrübelt, hinterfragt und schließlich rational entschieden. Das hat Vor-, aber auch Nachteile. „Die Gesellschaft will Begründungen. Doch die einfachen Wahrheiten hören sich zwar gut an, sind aber praktisch nicht anwendbar“, erklärt der Arzt Ingo Spitczok von Brisinski vom Fachbereich Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der LVR-Klinik Viersen.

Engstirnigkeit ist beim Umgang mit Kindern kontraproduktiv: Denn es gibt ihn nicht, den einen richtigen Erziehungsstil. „Und es ist normal, Fehler zu machen“, beruhigt der Arzt. „Kinder können viel aushalten. Und die meisten Fehler in der Erziehung können wieder ausgebügelt werden, wenn die Eltern sich nicht zu radikal verhalten.“

Doch genau das tun „Helikopter-Eltern“. „Die Kinder werden ängstlich und zögerlich“, erklärt die Hamburgerin Familienberaterin und Buchautorin Felicitas Römer. Weil sie sich sehr wenig zutrauen, kann es lange dauern, bis sie endlich auf eigenen Beinen stehen. Aber auch eine Rebellion dieser Kinder ist möglich: Um sich endlich zu befreien, lehnen sie sich auf. Das kann in der Pubertät heftig werden.

Eine grundsätzliche Sorge um das Kind ist zwar völlig normal. „Wenn das Kind das erste Mal alleine in die Schule geht, ist es einem natürlich mulmig“, sagt Spitczok von Brisinski. Doch es müsse eine kognitive Korrektur einsetzen - die Einsicht, dass es so das Beste und die Gefahr eines Unglücks äußerst gering ist.

„Eltern müssen erkennen, dass ihre Macht und ihr Einfluss auf das Leben der Kinder begrenzt ist“, sagt Familienberaterin Römer. Sie sollten sich mit sich selbst auseinandersetzen, mit ihren Gefühlen und ihrem Verhalten. Was macht mir Angst, und woher kommt sie? Gebe ich sie an mein Kind weiter?

Diese Fragen sollten sich Eltern stellen. Und es aushalten können, wenn ihr Kind auch mal traurig, wütend oder ängstlich ist. Dazu kommt die Akzeptanz, dass der Nachwuchs mit zunehmendem Alter immer mehr eigene Wege geht. „Das fällt naturgemäß schwerer, je mehr das Lebensglück an den Kindern festgemacht wird“, sagt Römer. Deshalb sollten Eltern sich bewusst um ihr eigenes Leben kümmern - in der Partnerschaft, im Freundeskreis und im Beruf.

Literatur:

- Ralph Dawirs: Riskante Jahre. Überlebenswichtige Anmerkungen zur Kindheit. Beltz. 139 S., 14,95 Euro, ISBN-13: 9783407859358

- Felicitas Römer: Arme Superkinder: Wie unsere Kinder der Wirtschaft geopfert werden, Beltz, 231 S., 17,95 Euro, ISBN-13: 9783407859211