Bauklötze statt Technik - Tagesväter sind selten
Rödermark (dpa) - Männliche Erzieher sind selten in Deutschland. Einer von ihnen ist Michael Stadel. Er war mal Techniker und arbeitet nun als Tagesvater. Und findet seinen neuen Beruf richtig klasse.
Maxim möchte jetzt keine Nudeln mehr essen. Der Einjährige stopft sich seinen Schnuller in den Mund und schaut Michael Stadel mit großen Augen an. Der nimmt einen nassen Lappen und wischt dem Kleinen die Reste des Mittagessens aus dem Gesicht. „Du wirst langsam müde, hm?“, sagt der kräftige Mann und setzt den Jungen auf den Boden. Noch ein paar Minuten spielen, dann ist Mittagsruhe angesagt.
Stadel ist Tagesvater. Gemeinsam mit seiner Frau betreut er im eigenen Heim fünf Kleinkinder: er zwei, sie drei. Heute ist neben Maxim noch Johanna da. Beide Kinder wuseln im Garten um Stadel herum. Auf einem großen Teppich liegen Spielsachen. Der 52-Jährige ist der einzige Tagesvater in Rödermark, einer 26 000 Einwohner zählenden Gemeinde nahe Frankfurt am Main. Seine Ausbildung hat er gemeinsam mit 16 Frauen absolviert.
Der Anteil der Männer in der Kindertagesbetreuung steigt zwar, ist aber nach wie vor verschwindend gering: Nur 4,3 Prozent der Beschäftigten in diesen Berufen waren nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im März 2013 männlich. Gerade einmal 21 800 Männer waren am Stichtag in Deutschland unmittelbar mit der pädagogischen Betreuung von Kindern befasst.
Männer in sozialen Berufen seien wichtig, findet die Politik und buhlt um Erzieher. Die Frankfurter Professorin Lotte Rose glaubt allerdings nicht, dass die vielbeschworene geschlechtliche Ausgeglichenheit in der Kinderbetreuung ein Allheilmittel ist. „Kinder brauchen nicht per se Männer in der Erziehung“, sagt sie. Dahinter stecke ja immer die Vorstellung, dass bisher etwas gefehlt habe, weil nur Frauen in Erzieherberufen arbeiten. Dass nur Männer mit Kindern wild toben, Fußball spielen oder handwerkliche Dinge tun. „Umgekehrt gilt auch, dass Frauen nicht per se gut für Kinder sind.“ Nicht die Geschlechterfrage sei bei der Erziehung entscheidend, sondern das Konzept, das pädagogische Leitbild.
Stadel - grün-kariertes Hemd, pfälzisch-hessischer Singsang in der Stimme - hat nur wenig mit Vorurteilen zu kämpfen. „Die meisten Eltern finden es gut, dass ihr Kind auch eine männliche Bezugsperson hat“, erzählt er und reicht Maxim eine Schaufel. Sein Job macht ihm sichtlich Spaß. Wenn Maxim getröstet werden muss, nimmt er ihn auf den Arm. „Wenn er heult, geht mir das nah“, sagt er, „dann seh' ich zu, dass er seinen Frieden wiederfindet. Auch wenn es nur ein Bauklötzchen ist, das er irgendwo verloren hat.“
Gelernt hat der 52-Jährige eigentlich etwas ganz anderes: Fernmeldehandwerker. Aber irgendwann war das nichts mehr, das Technische, das Rationale. „Die Vorstellung, noch zehn Jahre dasselbe machen zu müssen, hat mir nicht gefallen. Das war eine Sackgasse“, sagt er. Seine Frau Nadja ist seit 2011 Tagesmutter, ihren Beruf fand er spannend. „Die Kindererziehung hat mir immer Spaß gemacht.“ Nach der Scheidung von seiner ersten Frau zog er eine Tochter allein groß.
Seit April darf er als Tagesvater arbeiten. Dafür haben die Stadels ihr Haus umgeräumt, Ruhezimmer für die Kinder eingerichtet, im Garten Kürbisse und Bohnen angepflanzt. Knapp fünf Euro in der Stunde bekommen sie für die Betreuung eines Kindes. Der fehlende finanzielle Anreiz sei für viele Männer vielleicht ein Grund, den Erzieherberuf lieber sein zu lassen, sagt Stadel. „Aber darum geht es mir nicht. Mir ist wichtig, dass der Beruf Spaß macht.“