Online-Beratungsportal „da-sein.de“: Trauer- und Sterbebegleitung für Jugendliche

Oldenburg (dpa) - Marie wurde nur 18 Jahre alt. Sie starb an Knochenkrebs. „Ich hoffe sehr, dass ich mit meinem Kummer bei euch richtig bin“, schrieb sie etwa zwei Monate vor ihrem Tod in einer Mail an das Oldenburger Online-Beratungsportal „ da-sein.de“.

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Was folgte, war ein intensiver Austausch mit mehr als 30 Mails und dann der Abschiedsbrief. Schreibend begleitete „da-sein.de“ Marie auf den letzten Metern ihres Lebensweges.

„Wir haben nicht auf alle Fragen eine Antwort. Aber wir nehmen uns die Zeit, sie gemeinsam mit euch zu suchen“ - lautet ein Grundsatz des Projekts. Dahinter stehen die Kulturwissenschaftlerin und Familientherapeutin Cordelia Wach, die Sozialpädagogin Julia Narosch und vor allem: derzeit 27 Ehrenamtliche im Alter von 16 bis 26 Jahren. Das Portal ist spendenfinanziert und in der Jugendkategorie für den Deutschen Bürgerpreis 2016 nominiert, der am 13. Dezember in Berlin verliehen wird.

Das Prinzip ist eigentlich einfach. Wer Kontakt sucht, meldet sich bei dem Portal völlig anonym und kostenlos mit Benutzer-Nickname und Passwort an. Keine Angaben zur Person, kein echter Name. IP-Adressen werden grundsätzlich gesperrt und Mails verschlüsselt. Die erste Antwortmail kommt in drei Tagen. Danach ist mindestens eine Mail pro Woche garantiert. Das Ziel: Dem User/der Userin einen möglichst gleichaltrigen „ Peer-Berater“ zur Seite zu stellen.

„Ich finde es bemerkens- und bewundernswert, wie Jugendliche und junge Erwachsene sich zum Teil wirklich auf diesen letzten Weg mit ihrem Sterben auseinandersetzen und uns an diesem allerletzten Teil ihres Lebens teilhaben lassen“, sagt Cordelia Wach (48). Sie berichtet auch von Marie (Name geändert), deren Eltern Auszüge der persönlichen Mail-Korrespondenz auch auf Wunsch ihrer Tochter freigaben.

Die damals noch 17-Jährige wollte ihr Umfeld nicht mit ihren eigenen Ängsten zusätzlich belasten. Das Empfinden, die Familie schonen zu wollen, durchzieht fast alle Mails der jungen Klienten, die sich an das „da-sein.de-Team“ wenden. „Die sehen ja die Wahnsinnssorge der Mutter, des Vaters, der Geschwister, der Freunde“, beschreibt Teamleiterin Wach die Lage von jungen Menschen mit lebensbedrohlicher Krankheit. Mit seiner Anonymität wird das Portal oft zum Raum, wo die jungen Menschen schreiben können, wie es in ihnen wirklich aussieht.

„Nach außen bin ich stark für meine Familie und meine Freunde. ... Ich will sie nicht noch mehr belasten, als ich es so schon tue. Sie sind alle so stolz auf mich und meine Stärke. Sie bewundern mich. Ich möchte sie nicht enttäuschen“, brachte Marie ihre Gefühle auf den Punkt. Ihrer Mail-Partnerin konnte sie dagegen ihre Sorgen und Ängste anvertrauen.

Für die Peers keine leichte Aufgabe. Alle sind ehrenamtlich tätig. Und das in einem hochsensiblen Bereich. Sie werden mit kompakten und intensiven Schulungen über den Zeitraum von zwei Monaten vorbereitet. Dabei geht es auch um eigene Trauererfahrungen. Sie stehen auch in intensivem Austausch mit ihren Supervisoren. Die Teamleiterin hat als einzige Zugriff auf die Gesamt-Korrespondenz und gibt ein Feedback. Vor Schulungsbeginn dürfen die Peers höchstens 24 Jahre sein. Mindestalter ist 16 Jahre.

Im Gegensatz zu den Klienten sind die Peers nicht anonym. Die meisten stehen mit Foto auf der Webseite des Portals. Dort findet sich unter der Rubrik „Remember me“ auch eine Sternenhimmel-Illustration aus der Erzählung „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry: Ein Platz für Trauer um Verstorbene. Beim Anklicken der Sterne tauchen kurze oder lange Abschiedsworte auf. „Mit dir bin auch ich gegangen. Ich liebe dich!“, schreibt Florian.

Die überwiegende Zahl der „User“ von „da-sein.de“ wendet sich zur Trauer- und nicht zur Sterbebegleitung an das Portal. Dass junge Menschen jungen Menschen antworten, ist ein Kern des Projekts. „Wir arbeiten nicht therapeutisch“, betont Cordelia Wach. „Wenn uns eine 15- oder 16-Jährige schreibt, versuche ich, jemanden von unseren 16-jährigen Peers zu bekommen. Die sind näher dran an diesem Erleben und wissen auch oft besser, was gerade in dem anderen vorgeht.“ Der jüngste Klient ist gerade mal 12 Jahre.