„Du bist wie deine Mutter“ - Eigene Verhaltensmuster hinterfragen
„Ganz die Mama“ ist ein Spruch, der vor allem frisch gebackene Eltern beglückt. Mit zunehmendem Alter wird diese Feststellung allerdings eher als Beleidigung empfunden. Dabei sind viele Verhaltensweisen, die von den Eltern übernommen wurden, nicht unbedingt schlecht.
Wangen/Hamburg (dpa) - Bei einem Streit ist es manchmal das letzte Mittel, eine der schlimmsten Beschimpfungen, die man einer Frau entgegenbringen kann: „Du bist ja wie deine Mutter“. Aber warum trifft dieser Satz so viele, und warum sollte man nur die schlechten Eigenschaften der Mutter annehmen und nicht die des Vaters? „Es ist die Lebenswelt, die uns ganz unbewusst prägt“, erklärt der Psychologe Roland Raible aus Wangen im Allgäu.
Da bei vielen Kindern die Mutter in den ersten Jahren immer noch präsenter sei als der Vater, nähmen viele Kinder - und vor allem Mädchen, Verhaltensweisen der Mutter an. „Das geschieht unbewusst und kommt oft erst später, wenn man älter wird, zum Tragen“, erläutert er weiter. Und sein Hamburger Kollege Jörg Wesner fügt hinzu: „Wenn wir irgendwann auch äußerlich unseren Eltern immer stärker ähneln und in dem Alter sind, wie wir sie kennengelernt haben, fallen solche Dinge auch uns selbst mehr auf.“
Denn oft sind es keine schlechten Eigenschaften, die wir von unseren Eltern übernehmen, sondern vielmehr Verhaltensmuster. „Wenn die eigene Mutter in Auseinandersetzungen mit dem Vater immer gleich beleidigt war, verhält man sich später ähnlich, weil es eben bei den eigenen Eltern funktioniert hat“, sagt Wesner. Das erfolgt meist unbewusst, selbst wenn man dieses Verhaltensmuster bei der Mutter schrecklich findet.
„Manchmal ist es die Erinnerung daran, dass man nie so werden wollte“, erklärt die Psychotherapeutin Christiane Papastefanou aus Ludwigshafen. Doch auch dafür haben die Psychologen eine Erklärung und Gegenstrategien: „Gute Verhaltensweisen, die ich mag, nehme ich an und modifiziere, optimiere sie für mich, damit werden sie zu meinen“, erklärt Paartherapeut Wesner. Schlechte Verhaltensweisen machen sich hingegen in Stresssituationen bemerkbar. Und weil man sie selbst nicht mag, will man sie nicht annehmen. Dagegen hilft nur, einen Schritt zurückzutreten und sich zu überlegen: „Was finde ich gut, was finde ich schlecht, und wie gehe ich damit um“, lautet ein Rat des Psychologen Raible.
„Es hilft, sich mit den eigenen ungeliebten Verhaltensweisen auseinanderzusetzen“, fügt Papastefanou hinzu. Gerade in Erziehungsfragen entdecke man bei sich ähnliche Vorgehensweisen wie bei der Mutter und entwickele ein ganz neues Verständnis dafür. Dennoch gilt: „Man sollte sich sagen 'Ich bin ich' und 'So verhalte ich mich und nicht nur meine Mutter'“, sagt Wesner. Setzt das Gegenüber den Spruch in einem Streit ein, ist es durchaus legitim, zum Gegenangriff überzugehen.
„Man kann zum Beispiel einfach fragen 'Ja, und was ist so schlimm daran?'“, sagt Raible. Viel effektiver sei es allerdings, sich nicht auf einen Streit über Bewertungen einzulassen, sondern um die Sache zu ringen, also etwa zu fragen, was und warum es den anderen stört. Entscheidend sei zudem, das Selbst- sowie das Fremdbild zu überprüfen. „Schließlich klammert jeder gerne die schlechten Dinge für sich selber aus“, erklärt Wesner. Ebenso wichtig sei es dann, die Normen und Muster für sich zu akzeptieren.
Denn erst dann könne man sie für sich selbst anpassen. „Das hat mit Erwachsenwerden und Sichlösen zu tun“, sagt der Paartherapeut. Und genau deshalb wiege der Vorwurf so schwer. „'Du bist wie deine Mutter' impliziert den Vorwurf, dass man nicht erwachsen geworden sei, sich nicht zu einem Individuum entwickelt habe“, erläutert Raible. Und wer ganz geschickt ist, kehrt die vermeintlich schlechte Eigenschaft in eine positive um. Das schon von Aristoteles angedachte Wertequadrat besagt nämlich, dass jede negative Tugend eine positive Schwestertugend hat.
Geiz wird also zur Sparsamkeit, Putzwahn zur Ordnungsliebe. „So kann man dem Ganzen auch etwas Positives abgewinnen“, sagt Wesner. Denn ein komplettes Rückgängigmachen der elterlichen Prägung gibt es nur sehr selten. „Die Eltern sind nun mal die Menschen, die uns in der Regel am meisten prägen“, sagt Raible. Und das muss nicht immer schlecht sein.