Forscherin: Besser kein Kitaplatz als ein schlechter
Berlin (dpa) - Der lang umstrittene Kita-Rechtsanspruch für ein- und zweijährige Kinder tritt am 1. August in Kraft. Susanne Viernickel, Professorin für Frühpädagogik, warnt davor, auf Kosten der Kinder die Qualität zu vernachlässigen.
Der Ausbau der Kinderbetreuung kam jahrelang nur schleppend voran, in den vergangenen Monaten wurden dann bundesweit massiv Plätze geschaffen. Die Berliner Professorin für Frühpädagogik, Susanne Viernickel, war eine der Expertinnen in der Bundestagsanhörung zum Kita-Gesetz. Sie sieht den raschen Ausbau nicht durchweg positiv.
Halten Sie den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für vernünftig?
Antwort: Kitas sind wichtige Institutionen frühkindlicher Bildung. Es ist auch aus frauenpolitischer Sicht sinnvoll, denn in den allermeisten Fällen bleiben Frauen zu Hause und der Rechtsanspruch bedeutet daher eine Entlastung und die Möglichkeit, wieder arbeiten zu gehen. Doch es war ein sehr ehrgeiziges Ziel und es gibt Engpässe, die uns aus frühpädagogischer Sicht Sorgen machen.
Welche sind das?
Antwort: Die Kommunen sind unter Druck geraten, die Plätze unter allen Umständen anzubieten und nehmen dabei leider auch in Kauf, Standards zu senken. Bei Gebäuden ist dann beispielsweise der Garten nicht fertig, oder es werden Container bereitgestellt, die nur eine Minimalausstattung bieten. Besonders wichtig aber ist der Personalschlüssel. Ich halte in der institutionellen Betreuung eine Fachkraft auf drei oder höchstens vier Kinder im Alter von ein und zwei Jahren für gut. Dieser Schlüssel ist allerdings eine rein rechnerische Größe. Der Bedarf liegt eher höher, da die Erzieherinnen viel nebenbei leisten müssen und nicht immer den Kindern zur Verfügung stehen.
Schaden den Kindern größere Kita-Gruppen?
Antwort: Wir haben in der Wissenschaft tatsächlich Hinweise darauf, dass es so etwas wie einen Schwellenwert gibt, der bei 1:3 liegt. Ab diesem Wert kann man eine Abnahme der pädagogischen Qualität feststellen, die wiederum einen Einfluss auf die kindliche Entwicklung hat. Die Kinder werden anders angesprochen und sprachlich gefördert, der emotionale Ton wird rauer. Allerdings haben wir keinen wissenschaftlichen Nachweis dafür, dass sich die Kinder deshalb auch massiv schlechter entwickeln.
Sind Schnell-Erzieherinnen-Kurse eine gute Idee?
Antwort: In Crashkursen ausgebildete fachfremde Personen als Erzieherinnen-Ersatz in die Einrichtungen zu holen, ist ein wirklich schlimmer Auswuchs der jüngsten Entwicklung. Dass so getan wird, als könne jemand mit einem Schnellkurs von 25 Tagen das leisten, was eine ausgebildete Erzieherin oder Frühpädagogin vermag, das ist fatal. Eine Ausbildung zur Erzieherin dauert drei Jahre.
Also besser kein Kitaplatz als ein schlechter?
Antwort: Das würde ich für die jüngeren Kinder so unterschreiben. Mit einem Rechtsanspruch ist nicht automatisch verbunden, das alles in Butter ist. Das ist grundfalsch. Wenn man mit 14 Monaten ein Kind in eine Tageseinrichtung gibt, dann ist dies für das Kind mit Trennungsschmerz verbunden. Das muss man auffangen und einordnen können. Hier durch fachfremde Quereinsteiger und stark verkürzte Qualifikationszeiten den Personalnotstand lindern zu wollen, ist nicht zu verantworten.
Hätte man den Termin verschieben sollen?
Antwort: Der Termin ist seit sechs Jahren gesetzt. Das ist eine hinreichende Zeit, um sich gut vorzubereiten, da hilft auch kein weiteres Jahr. Notfalls muss man jetzt eben mit den Konsequenzen leben. Da muss man sich eben mit den Klagen herumschlagen und dafür Geld in die Hand nehmen.