Heime vor der Pleite: Wenn Opa umziehen muss
Berlin (dpa) - Jedem siebten Pflegeheim in Deutschland droht die Pleite. Die Bewohner geraten schnell in eine unsicheren Lage, bis klar ist: Müssen sie umziehen oder nicht? Doch auch neue Heime mit höheren Standards dürften in den kommenden Jahren zu Tausenden entstehen.
Der Schock saß tief. Binnen weniger Wochen mussten rund 20 Senioren eines baden-württembergischen Pflegeheims umziehen. In ihrem Domizil blieben über Monate viele Betten leer, am Ende war das Geld ausgegangen. Das ungemütliche Szenario ist kein Einzelfall - bis 2020 dürfte laut einer neuen Studie jedes siebte Pflegeheim in Deutschland Pleite gehen. Auch wenn viele der Einrichtungen wohl auch noch im Insolvenzverfahren gerettet werden können - der Pflegemarkt steht vor einem dramatischen Umbruch.
Schwer werden es vor allem kleine und mittelgroße Heime haben, Einrichtungen auf dem Land - und Heime mit Mehrbettzimmern und veralteter Bausubstanz. „Wenn der Standort unattraktiv ist und die Immobilie alt, wird eine Insolvenz wahrscheinlicher“, sagt Peter Lennartz, einer der Studienautoren von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young.
Die Zahl der Heime war in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Nach einem wahren Investmentboom gab es zuletzt rund 11 600 stationäre Einrichtungen. Die Experten geben etwa 1700 davon mittelfristig keine reelle Chancen mehr. Grund: steigende Kosten für Personal, Instandsetzung und Energie bei kaum steigenden Einnahmen.
Doch auf der anderen Seite stehen weiter Investoren bereit. „Vom Geschäftsmodell her ist man da im Grunde auf der sicheren Seite“, sagt Lennartz. Neue Heime sind deutlich attraktiver für die zahlreichen Bedürftigen - jedes dritte bestehende Heim ist alles andere als gut in Schuss. „Daher sind überalterte Pflegeheime immer schlechter ausgelastet“, heißt es in der Studie. Für viele ältere Häuser entsteht eine Abwärtsspirale.
Dazu kommt der Pflegenotstand. Zehntausende Altenpfleger fehlen - die Lücke wird immer größer. Doch Pflege im Minutentakt und schlechte Bezahlung machen den Beruf wenig attraktiv. Von den 150 Heimbetreibern, die für die neue Studie befragt wurden, klagten 46 Prozent, es sei „sehr schwer“, qualifiziertes Personal zu gewinnen. Nötig seien höhere Löhne, so die Experten. Auch das kostet. „Daher werden weitere Betreiber in die Verlustzone rutschen.“
Auf der Straße sollten Pflegebedürftige nicht landen - darauf passen die Heimaufsichten auf. Doch auch ein Umzug ist für die Betroffenen mit Stress verbunden. Und für die Angehörigen oft mit weiteren Wegen.
Insgesamt dürfte es mehr Zusammenschlüsse und Ketten geben, mehr größere Einrichtungen - und unterm Strich wahrscheinlich sogar mehr Heime. Die Studienautoren schließen sich früheren Schätzungen an, nach denen die Zahl der Pflegebedürftigen von rund 2,3 auf 2,9 Millionen in zehn Jahren steigt. Sie erwarten auch eine wachsende Rolle alternativer Wohnformen wie Wohngemeinschaften oder -gruppen.
Aber: Das von der Koalition proklamierte Ziel „ambulant vor stationär“ dürfte laut Lennartz ein Schlagwort bleiben. „Aufgrund der zunehmenden beruflichen Mobilität wird die Pflege durch Angehörige immer stärker in den Hintergrund treten.“
Also werden mehr Heime gebraucht: Die Experten rechnen damit, dass es für 179 000 Menschen zusätzlich in stationärer Pflege bis 2020 rund 2000 neue Heime braucht. Dazu kämen 2300 Heime, die aufgrund ihres schlechten Zustands saniert oder neu gebaut werden müssten. Investitionen von 33,8 Milliarden Euro müssten dafür mobilisiert werden.
Für mehr Pflege zahlen werden am Ende wohl nicht zuletzt die Bedürftigen selbst. So erwarten 40 Prozent der befragten Heimbetreiber, dass die Einnahmen aus dem Privatanteil der Betroffenen steigen. Rund ein Drittel erwartet sinkende Einnahmen.