Keinen Sonderstatus: Hochbegabte Kinder brauchen Normalität
Bochum (dpa/tmn) - Schon im Kindergarten rattern sie das Einmaleins runter: Halten Eltern ihr Kind für hochbegabt, sollten sie sich dies von Experten bestätigen lassen. Haben sie recht, müssen sie ihre Erziehung aber noch lange nicht umkrempeln.
Manche Kinder jonglieren schon im Kindergarten mit Zahlen und Buchstaben und finden Spiele wie Mensch-Ärgere-Dich-Nicht zu einfach. Grund für den Entwicklungsvorsprung kann eine überdurchschnittlich hohe intellektuelle Begabung sein. „Von der spricht man klassischerweise ab einem IQ von 130. Diesen Wert erreichen nur etwa 2 Prozent der Deutschen“, sagt Karsten Otto von der Hochbegabtenförderung in Bochum.
Oft zeigt sich schon im Kleinkindalter, wenn Mädchen und Jungen besonders helle Köpfe sind. Etwa daran, dass sie Dinge wie Sprechen oder Laufen viel früher als Gleichaltrige lernen oder sehr kreativ sind. „Sie entwickeln meist sehr früh ein Verständnis für komplizierte Sachverhalte und die Fähigkeit, sich selbstständig etwas beizubringen“, sagt Christian Fischer, Professor für Erziehungswissenschaft an der Uni Münster. Als hochbegabt werden die Kinder aber nicht zwingend erkannt.
„Von 100 Hochbegabten fallen etwa 80 durchs Raster, weil sie sich mit ihrem Umfeld arrangieren und es ihnen die Anregung, die sie brauchen, quasi instinktiv bietet“, sagt Manuela-Angelika Mahn von der Deutschen Gesellschaft für das hochbegabte Kind in Berlin. Die übrigen 20 fielen auf. Teils durch extremen Wissensdurst, teils aber auch negativ: So entwickeln Hochbegabte, die nicht das Glück haben, dass ihre Umgebung sich auf ihre Bedürfnisse einstellt, oft psychische Probleme. Das können beispielsweise Versagensängste, ein gestörtes Sozialverhalten, Depressionen und Wutstörungen sein.
„Das zeigt, wie wichtig es ist, auf die Bedürfnisse hochbegabter Kinder einzugehen. Sie brauchen herausfordernde Denkaufgaben und Projekte, sonst sind sie schnell gelangweilt“, erklärt Fischer.
Wenn der Verdacht auf Hochbegabung besteht, sollten Eltern dem also unbedingt nachgehen. Klarheit bringt die Untersuchung bei einem Experten, der ausführlich mit dem Kind spricht und einen standardisierten IQ-Test macht. Ist das Ergebnis positiv, heißt es fördern und fordern.
Eltern zerbrechen sich schnell den Kopf darüber, was das genau heißt. Im Grunde brauchen Hochbegabte dasselbe wie alle Kinder: genügend Zuwendung und Aufmerksamkeit, ein offenes Ohr für ihre Bedürfnisse und Lernanreize, durch die sie ihre Fähigkeiten entfalten können. „Was zählt, ist der individuelle Entwicklungsstand. Wenn ein Kind etwa schon früh lesen oder rechnen lernen will, sollte man es ihm ermöglichen“, sagt Fischer.
Wissen Erwachsene nicht, wo sie die Grenze ziehen sollen, kann eine Hochbegabten-Beratungsstelle weiterhelfen. Die Fachkräfte vor Ort haben einen großen Erfahrungsschatz und die Expertise, um geeignete Lernanreize für die kleinen Genies zu finden.
Generell sollten Eltern sich nicht auf die Hochbegabung ihres Kindes fokussieren, sondern ihm vielfältige Erfahrungen ermöglichen: Etwa durch Ausflüge in die Natur, die Mitgliedschaft in einem Sportverein oder das Lernen eines Instruments. „Es sollte nicht unter einer Käseglocke aufwachsen und ständig nur von Hochbegabten umgeben sein“, erklärt Otto.
Das bedeutet auch, sein Kind besser nicht auf eine Spezialschule für Hochbegabte zu schicken, sondern auf eine Regelschule. Voraussetzung dafür ist, dass man dort soweit auf seine Bedürfnisse eingeht, dass es sich nicht chronisch unterfordert fühlt. Möglich ist das etwa, indem Mädchen und Jungen eine Klasse überspringen oder einzelne Fächer in einer höheren Stufe belegen.