Neue Klasse, alter Stoff - Sitzenbleiben ist keine Schande
Eberswalde (dpa/tmn) - Sitzenbleiben ist unangenehm. Oft gibt es nach dem Halbjahreszeugnis noch die Chance zum Klassenerhalt - manchmal aber nicht. Dann sollten Schüler offen auf die neue Klasse zugehen, sich motivieren und positiv denken - so gelingt die Ehrenrunde.
Mit einem schlechten Halbjahreszeugnis wird es eng: Die Gefahr, sitzenzubleiben, wächst. Müssen Jugendliche die Klassenstufe wiederholen, ist das erst einmal ein krasser Dämpfer - zumal viele Schulforscher diese Regelung für pädagogisch überholt halten.
„Sitzenbleiben ist schlecht und gehört abgeschafft“, sagt zum Beispiel Prof. Hubertus Adam von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Leitenden Klinikärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (BAG). „Es ist besser, gefördert zu werden, als den Stoff noch einmal stumpfsinnig zu wiederholen.“ Trotzdem bleiben jedes Jahr in Deutschland viele Tausend Kinder sitzen.
Flattert ein Halbjahreszeugnis mit ein paar Fünfen ins Haus, müssen Schüler aber nicht gleich aufgeben. Sie sollten die Lage am besten genau mit Eltern und Lehrer besprechen, rät Stefan Drewes, Vorsitzender der Sektion Schulpsychologie beim Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP). Die Frage sei: „Wie kann ich besser werden?“ Der feste Wille, sich einfach anzustrengen, helfe nicht so sehr. „Besser ist es, genau nach den Fehlern zu suchen.“ Fehlen mir Vokabeln? War ich oft krank und muss einfach nacharbeiten? Gab es Konflikte in der Klasse? Mit den Eltern?
„Es ist schwierig, sich zu motivieren, wenn so etwas Negatives wie das Sitzenbleiben im Nacken sitzt“, sagt Andreas Engel von der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke). Manche Schüler könnten den Lernstoff problemlos meistern, wenn sie mehr tun würden. Aber aus unterschiedlichen Gründen scheitert es genau daran. Diese Ursachen gilt es zu finden. Manchmal können Schüler den Stoff aber bis zum Ende des Schuljahres kaum noch aufholen. Sie trügen ihre Defizite seit Schulbeginn durch die Klassenstufen, weil sie ein Jahr später hätten eingeschult werden sollen, erklärt Engel.
Die Frage sei, ob der Schüler aus eigener Kraft seine Leistungen verbessern könne, meint Drewes. „Wenn die Lehrer das klar mit "Nein" beantworten, bringt es wenig, in das zweite Halbjahr zu gehen.“ Die Motivation sei weg, der Unterricht werde nicht mehr ernst genommen. Dann bleibt Jugendlichen die Möglichkeit, die Klasse freiwillig zu wiederholen. Andernfalls wartet am Ende des Schuljahres meist die Ehrenrunde.
Eine Klasse zu wiederholen, ist nie ganz einfach. Es komme darauf an, die Situation zu nutzen, erklärt Engel: Wer eine Klasse wiederholt, habe später meist bessere Chancen auf einen Abschluss mit guten Noten. Unrealistische Ziele, Überforderung und dauerhaft schlechte Noten führten schnell zu Frust, sagt Drewes. Sitzenbleiben könne in den derzeitigen Schulstrukturen deshalb manchmal eine Chance sein. „Man sollte sich sagen: "Das ist keine Katastrophe".“
In der neuen Klasse sei es gut, an die Mitschüler anzudocken, rät Adam. „Der Schüler sollte alte Beziehungen halten, sich aber auch der neuen Gruppe öffnen. Da gilt es, eine gute Balance zu finden.“ Ein Knackpunkt kann der Altersunterschied sein: „Wenn eine 15-Jährige plötzlich unter lauter 13-Jährigen sitzt, kann das zu Problemen führen“, sagt Drewes. Die Entwicklungsunterschiede etwa zwischen 13 und 15 seien enorm groß.
Drewes rät Sitzenbleibern trotzdem, offen auf die neue Klasse zuzugehen. „Es bringt einem nichts, arrogant aufzutreten oder sich zurückzuziehen.“ Schlecht sei ein Auftreten nach dem Motto: „Ihr seid nur die Kleinen, ich brauche euch gar nicht.“ Alte Freundschaften könne man trotzdem pflegen. „Schüler wechseln ja nur die Lerngruppe, nicht so sehr ihren Freundeskreis.“ Außerdem sei es manchmal gar keine so schlechte Rolle, als der etwas Reifere in der neuen Klasse zu sitzen, findet Andreas Engel.
Neue Schüler, alter Stoff - für das Lernen müssen sich viele Sitzenbleiber erst wieder motivieren. „Das neue Lernziel müssen bessere Noten und ein besserer Durchschnitt sein“, sagt Drewes. Oft würden Jugendliche dem Irrglauben anhängen, sie könnten schon alles. „Aber wenn sie nicht dranbleiben, werden sie schnell wieder Lücken haben.“ Sie seien ja genau deshalb sitzengeblieben. „Die verschwinden nicht einfach.“
Wichtig ist auch, dass die alten Lehrer dem Schüler eine neue Chance geben. „Fatal wäre eine Aussage wie: "Du kriegst sowieso nichts auf die Reihe"“, sagt Drewes. Die Klassenwiederholung sei nicht nur ein Problem des Schülers - sondern auch des Lehrers. „Gerade auf Gymnasien gibt es oft die Einstellung: "Der Schüler ist selbst schuld, wenn er nicht richtig lernt".“ Andreas Engel rät in diesem Fall, dass der Schüler zusammen mit seinen Eltern in die Sprechstunde bei dem betreffenden Lehrer gehen sollte. Wenn sich Eltern für ihr Kind stark machen, hinterlasse dies beim Lehrer ein positives Bild.