Kindern fällt die Handschrift schwer: Kultur in Gefahr?
Köln (dpa) - Was der kleine Jasper macht, ist keine bloße Malstunde. In der Kölner Kita trainiert der Fünfjährige mit anderen Knirpsen kurvenreiche Linien. „Das macht Spaß“, sagt Jasper, den Wachsmalstift fest im Fäustchen.
„Die Bewegung brauchen die Kinder später in der Schule, für das n und viele andere Buchstaben“. So erklärt es Motorikforscher Christian Marquardt. Hintergrund der Übungen: Die Fähigkeit, von Hand zu schreiben, lässt bei Kindern im digitalen Zeitalter deutlich nach. Das hat nun schon eine zweite Umfrage ergeben, die bei der Bildungsmesse Didacta in Köln vorgestellt wurde. Experten sehen eine Kulturtechnik in Gefahr und wollen gegensteuern.
Die Lage sei höchst besorgniserregend, betont der Präsident des Didacta-Verbands, Wassilios Fthenakis. Es gehe um eine wertvolle Technik, die in der kulturellen Entwicklung der Menschheit eine maßgebliche Rolle gespielt habe. „Es ist wichtig, dass diese Kulturtechnik nicht geopfert wird auf dem Altar der neuen Medien.“ Die Gesamtgesellschaft trage Verantwortung dafür, die Handschrift zu erhalten, mahnt er. Und: „Wir müssen dem Terrorismus von E-Mails und WhatsApp etwas entgegensetzen.“
Wie ist der Stand der Dinge? Aus einer repräsentativen Umfrage des Schreibmotorik Instituts - rund 1000 Mütter wurden befragt - ergibt sich: Etwa 1,2 Millionen Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren könnten nicht ausdauernd leserlich und unverkrampft schreiben. Noch trister sei das Ergebnis einer Erhebung des Lehrerverbands von 2015 - nach Befragung von 2000 Lehrkräften: Jeder zweite Junge und fast jedes dritte Mädchen habe Probleme, eine gut lesbare Handschrift zu entwickeln. Das sollte laut Kultusministerkonferenz bis Ende der vierten Klasse gelingen.
Der Realität entspreche das aber nicht, sagt auch der Bundeselternrat. Der Vorsitzende Michael Töpler appelliert, Eltern sollten mit gutem Beispiel vorangehen und die Tastatur öfter mal links liegen lassen. Der handgeschriebene Brief sei die „persönlichste Form der Kommunikation“ und bringe Wertschätzung zum Ausdruck, gibt Fthenakis zu bedenken. Schreiben heißt aber für viele Kinder und Jugendliche zumindest in der Freizeit: Auf ihre Smartphones, Tablets und Laptops eintippen.
Auch Wissenschaftler Marquardt beklagt, die Handschrift werde im Alltag zurückgedrängt - folgenreich. „Dass es Probleme beim Handschreiben gibt, wissen wir seit Langem.“ Nun sei aber das Ausmaß deutlich - und zwinge zum Handeln. „Es ist nachgewiesen, dass das Handschreiben andere Hirnareale aktiviert.“ Also zu einem konzentrierteren, tieferen und nachhaltigeren Lernen führe. Er befürchtet: Verschlimmere sich das Handschrift-Problem der Schüler, könnten sich die Stimmen mehren, die auch in der Schule, im Unterricht und bei Klassenarbeiten der Einfachheit halber stärker auf den digitalen Weg und die Tastatur setzen wollen.
Nun will die neu ins Leben gerufene „Aktion Handschreiben 2020“ eine bessere Förderung des Handschreibens in Kita und Schulen erreichen. Bis 2020 soll dazu flächendeckend ein wissenschaftlich fundiertes Übungsprogramm bereitstehen, versprechen die Gründungsmitglieder Didacta Verband und Schreibmotorik Institut.
Jasper, Bruno, Emilia, Lennart und Clara versuchen sich schon freudig an den Übungen fürs Vorschulalter. Feinmotorik ist gefragt. Sie sollen auf dem Papier die Rennstrecke von Hugo Blitz mit dem Stift nachzeichnen. Clara ist als erste fertig und strahlt: „Das war doch ganz einfach.“