Kleine Entdecker auf großem Terrain: Besuch einer „Meta-Kita“

Dresden (dpa) - „Kinderkombinat“ oder Paradies für die Kleinen? An Kindertagesstätten mit mehr als 200 Mädchen und Jungen scheiden sich die Geister. Die „Mega-Kitas“ sehen ihre Größe als Chance.

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Die Kindertagesstätte „ Haus der kleinen Entdecker“ in Dresden ist bestens behütet. Nebenan befindet sich die Offizierschule des Heeres, auf der anderen Straßenseite eine Kaserne der Bundeswehr. Auch die Kita ist in einer früheren Kaserne untergebracht. Der Befehlston ist freilich seit langem verhallt, statt Morgenappell gibt es nun einen Morgenkreis. Mit 208 Mädchen und Jungen zählt die vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) betriebene Einrichtung zu den Groß-Kitas. Während sie in Ostdeutschlands fast schon zum Alltag gehören, regen sich gerade im Westen immer wieder Bedenken. Kritiker sprechen vom „Kinderkombinat“ oder dem „chinesischen Weg der Erziehung“.

Wer das „Haus der kleinen Entdecker“ durchstreift, sieht sich eines Besseren belehrt. Vieles ist hier genauso wie in kleinen Kitas. Dass die Gruppen hier nicht wie so oft „Bienchen“ oder „Häschen“ heißen, sondern „Grashüpfer“, „Tautropfen“ oder „Bergkristall“, hängt wohl eher mit der Entdeckerfreude der Erzieherinnen und Erzieher zusammen.

Das 1902 erbaute Gebäude hat den Charakter einer Kaserne verloren. Die langen Gänge sind mit gläsernen Türen abgeteilt. Helle Farben statt uniformiertem Grau. Anders ist jedoch die Fülle an Möglichkeiten. Welche Kita kann schon von sich behaupten, einen eigenen Tanzraum mit Klavier zu haben?

Der gut 3100 Quadratmeter große Spielplatz ist für Krippen- und Kindergartenkinder geteilt. Innen ist noch einmal fast genauso viel Platz. Draußen schützen große Sonnensegel die Kleinen beim Spiel auf der Wiese, im Sand oder an den hölzernen Spielgeräten. Jetzt, bei fast 30 Grad im Schatten, ist die „Matsch-Ecke“ mit der Wasserpumpe besonders beliebt. Die 5-jährige Sarah mit einem kleinen Capt'n Sharky-Tattoo am Arm hält an diesem Tag den Rasensprenger für das Schönste an der Kita: „Wir machen auch Schneemänner“, sagt das Mädchen, was bei der Hitze wie ein Wintermärchen klingt.

Die Argumente der Bedenkenträger schmelzen beim Anblick des Treibens dahin. Weder ist der Geräuschpegel lauter als anderswo, noch müssen sich Eltern Sorgen um mangelnde Sicherheit machen. 34 Frauen und Männer kümmern sich um die Kinder. Wenn die Kita eines Tages ihre volle Belegung mit 310 Kindern erreicht, sollen es 45 Fachkräfte sein. Kitaleiterin Janett Schmeling sieht darin einen Vorteil: „Jeder kann seine Stärken und persönliche Vorlieben einbringen, keiner muss mehr ein Alleskönner sein.“ Außerdem fänden die Kinder hier eine Vielfalt an Angeboten, die sie in einer kleinen Kita so gar nicht bekommen könnten.

Tatsächlich bietet die Kita auf drei Etagen jede Menge Platz für Entdeckungen. In speziellen Räumen werden Kinder auf spielerische Weise Mathematik, Sprache, Bastelei oder Musik und Tanz herangeführt. Im Raum für Naturwissenschaften symbolisieren runde Lampen die einzelnen Himmelskörper, an der Wand hängt eine kindgerechte Weltkarte, auf der die Mädchen und Jungen Tiere den jeweiligen Kontinenten zugeordnet haben. Viel Platz, viel Licht. Aufs Töpfchen muss hier keiner, die Kinder können wahlweise auf die Kindertoilette gehen.

Auch den Vorbehalt, die Erzieherinnen würden im Gelände den Überblick verlieren, kontert Montessori-Pädagogin Schmeling: „Es gibt ja viele kleine abgetrennte Bereiche.“ Die Dresdner DRK-Sprecherin Ulrike Peter erläutert das Konzept der „teiloffenen Arbeit“: Zwar könne nicht jedes Kind jeden Morgen entscheiden, wo es an dem Tag hingehe. Aber zwischen den Gruppen gebe es viel Austausch und zudem eine individuelle Betreuung der Kinder. Die Gruppen haben eine Größe zwischen 9 und 16 Kindern. Im Grunde läuft der Alltag ab wie in einer kleinen Kita - nur dass quasi mehrere davon unter einem Dach agieren und zudem noch Raum für gemeinsame Aktivitäten haben.

„Man kann nicht sagen: Große Kita schlecht, kleine Kita gut“, betont Sabine Bibas, Chefin des Dresdner Eigenbetriebes Kindertagesstätten. Das hänge immer auch von den einzelnen Erziehern ab. Ilse Wehrmann, die als Sachverständige für Frühpädagogik auch die Bundesregierung berät, verdammt die Mega-Kitas nicht in Bausch und Bogen, hat aber auch Zweifel. Entscheidend sei die Größe der Gruppen und ob so eine individuelle Betreuung möglich sei: „Ich habe die Befürchtung, dass sich Kinder dieses Alters in einem großen Gebäude nicht orientieren können. Deshalb ist die Architektur des Haues wichtig. Die Kinder müssen sich geborgen und wie zu Hause fühlen.“