Warum sich Paare später scheiden lassen
Wiesbaden (dpa) - Rund jede dritte Ehe geht irgendwann in die Brüche. Meist reicht die Frau die Scheidung ein. Sie hat nach Ansicht von Fachleuten höhere Ansprüche an eine Beziehung. Kommt die klassische Familie aus der Mode?
Und haben es Scheidungskinder schwerer?
Wenn die Mehrfachbelastung von Job, Familie und Hausbau zu groß wird, oder der Auszug der Kinder bevorsteht, gehen viele Ehen in die Brüche. Rund jede Dritte trifft es irgendwann. Dabei warten die Paare immer länger, bis sie vor den Scheidungsrichter treten, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden berichtet. Fachleute erklären warum.
Woran zerbrechen die meisten Ehen?
„Wenn Paare nicht auf ihren gemeinsamen Stresslevel achten, zwei kleine Kinder haben und ein Haus bauen, dann ist oft das Haus fertig und die Ehe auch“, sagt der Bielefelder Paartherapeut Detlef Vetter. Oder: Die Kinder gehen aus dem Haus und das Paar stellt fest, dass sie sonst nichts mehr verbindet. „Das Grundsätzliche ist aber, dass die Paare nicht darauf achten, ausreichend Zeit und Energie in die Beziehungspflege zu investieren.“
Die durchschnittliche Dauer einer geschiedenen Ehe ist 2013 auf 14 Jahre und 8 Monate gestiegen. Warum warten Ehepaare immer länger mit der Scheidung?
Die Kinder wohnen länger zu Hause, Paare sind pragmatischer, lassen sich aber in Krisen auch eher helfen. „Kinder bleiben länger im Hotel Mama wohnen und sind länger von den Eltern finanziell abhängig“, sagt Zukunftsforscher Andreas Steinle. „Viele Paare bleiben auch aus steuerlichen Gründen zusammen. Man muss sich ja nicht zwingend gleich scheiden lassen, nur weil man sich nicht mehr liebt - solange man gut mit der Situation klar kommt.“ Der Berliner Psychologe und Paartherapeut Achim Haid-Loh ergänzt: „Immer weniger Paare heiraten überhaupt.“ Außerdem: „Es gehen auch viel mehr zu professionellen Paar- und Ehetherapeuten.“
Warum reichen mehr Frauen als Männer die Scheidung ein?
„Frauen haben höhere Ansprüche an eine Beziehung, höhere Kommunikations- und höhere emotionale Ansprüche“, sagt Zukunftsforscher Andreas Steinle. Paartherapeut Detlef Vetter hält Männer für leidensfähiger und Aussitzen für eine typische Konfliktbewältigungsstrategie vieler Männer. Diese festigten ihre Identität auch häufiger über Arbeit und Karriere als - wie Frauen - über Beziehungen. Viele Väter fürchteten zudem, dass sie nach einer Scheidung den Kontakt zu ihren Kindern verlieren könnten.
Die Zahl der Alleinerziehenden und der Patchworkfamilien steigt. Kommt die klassische Familie aus der Mode?
„Die Ehe mit Kind als traditionelles Premium-Modell der Lebensformen wird abgelöst durch vielfältige Lebensentwürfe“, sagt der Berliner Familientherapeut Achim Haid-Loh. Zukunftsforscher Andreas Steinle ist dennoch überzeugt. „Der Wunsch nach Familie ist nach wie vor ein ganz großer, er wird eher noch größer.“ Denn: „Je individueller Lebensentwürfe werden, desto notwendiger wird auch ein soziales Beziehungsgeflecht, das einen auch auffängt.“
Fast die Hälfte der 169 800 geschiedenen Ehepaare hat minderjährige Kinder. Ist für sie eine Trennung besser als Dauerstreit?
Dauerstreit und anhaltende Konflikte belasten Kinder nach Einschätzung von Fachleuten besonders stark, wenn sich keine Versöhnung abzeichnet. „Wichtig ist, dass das Konfliktniveau, das die Kinder verspüren, durch die Trennung wirklich absinkt“, sagt die stellvertretende Leiterin des Deutschen Jugendinstituts, Sabine Walper.
Was sollten Eltern, die in Scheidung leben, ihren Kindern unbedingt ersparen?
„Nach einer Trennung sollte der Fokus auf dem Kind und seinen Bedürfnissen liegen“, sagt Sabine Walper vom Deutschen Jugendinstitut in München. „Auch wenn sich die Eltern als Paar nicht mehr verstehen, bleiben dennoch beide Eltern. Schwierig wird es, wenn die Elternteile das Kind instrumentalisieren, um eigene Interessen gegenüber dem anderen geltend zu machen, sich nicht an Erziehungsabsprachen halten, dem anderen Elternteil in den Rücken fallen oder vor dem Kind schlecht machen.“
Haben es Scheidungskinder schwerer?
Deutsche Studien zeigten mehrheitlich, dass sich die meisten Scheidungskinder nach einer gewissen Belastungsphase von der Trennung ihrer Eltern erholten, berichtet die stellvertretende Leiterin des Deutschen Jugendinstituts, Sabine Walper. „Viele Eltern in Scheidung sind sehr bemüht um das Wohlergehen ihrer Kinder und nehmen auch gerne Beratungsangebote in Anspruch.“