Kleinkindpädagogik: 175 Jahre nach Fröbel noch viel zu tun

Bad Blankenburg (dpa) - Kindergärten boomen in Deutschland. Ob in Ost oder West - der Gang in die Krippe oder zur Tagesmutter gehört schon für unter Dreijährige immer öfter zum Alltag. Bundesweit sind es inzwischen in dieser Altersgruppe mehr als 660 000 Knirpse, Tendenz steigend.

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Allein der Bund hat sich den Ausbau in den vergangenen Jahren 5,4 Milliarden Euro kosten lassen. Das Betreuungsangebot ist das eine, die Qualität frühkindlicher Bildung das andere. 175 Jahre nach der Gründung des ersten Kindergartens im thüringischen Bad Blankenburg sehen Fachleute nach wie vor erhebliche Baustellen, was die frühkindliche Bildung in Deutschland anbelangt.

„Beim Ausbau der Kindergärten hat sich in den vergangenen Jahren sehr viel getan“, konstatiert Michael Winkler, Leiter des Instituts für Bildung und Kultur der Universität Jena. „Woran es massiv hapert, ist die Qualität.“ Zur selben Einschätzung kommt der Ländermonitor der Bertelsmann-Stiftung. Die Autoren verweisen ebenso wie Winkler als Hauptursache auf den Personalschlüssel. Und darauf, dass bundesweit einheitliche Qualitätsstandards in Form eines Bundes-Kita-Gesetzes fehlen. Dieses Problem hat auch die Politik erkannt und eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe gebildet - Ende 2016 soll ein erster Bericht vorliegen.

Denn die regionale Kluft ist gewaltig. Nicht nur, dass traditionell in Ostdeutschland die Betreuungsquote viel höher ist - sie lag nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes zuletzt bei den unter Dreijährigen mit 52 Prozent fast doppelt so hoch wie im Westen (27,4 Prozent). Auch die Zahl der Kinder pro Erzieher schwankt gewaltig. Kann sich in Bremen und Baden-Württemberg im Schnitt eine Erzieherin um drei Kinder dieser Altersgruppe kümmern, sind es im Osten im Schnitt mehr als sechs. Insgesamt bezifferten die Experten voriges Jahr den weiteren Bedarf an Erziehern auf rund 120 000 bundesweit.

Spätestens mit dem Pisa-Schock von 2001 ist die frühkindliche Bildung schlagartig in den öffentlichen Fokus gerückt. In der Studie wurden zwar die Leistungen 15-Jähriger gemessen. Klar war aber, dass schon früher angesetzt werden muss. Zudem zeigen Studien, dass im Kleinkindalter die Grundlagen für die spätere Bildungskarriere gelegt wird. So geht es auch um Chancengerechtigkeit für Kinder aus bildungsfernen Familien.

Ideen, die schon Friedrich Fröbel im 19. Jahrhundert erkannt hatte - und mit dem Kindergarten ein Konzept schuf, das auch in vielen anderen Ländern populär wurde. Margitta Rockstein, die einen wichtigen Teil seines handschriftlichen Nachlasses bewahrt, spricht von einer „pädagogischen Revolution“. „Es ging ihm einerseits um Bildung für alle Kinder, egal welcher sozialer Herkunft und welchen Geschlechts“, erklärt sie. „Und er wollte die Entwicklung der Kinder beim Spielen fördern und anregen.“ Dabei hatten etwa Sprachförderung und Naturbeobachtung einen wichtigen Platz in seinem Konzept.

Doch Pädagogik-Professor Winkler sieht sich heute manchmal in die Zeit vor Fröbel zurückversetzt. „Mitunter wird der Kindergarten darauf zurückgestuft, Kinder nur zu betreuen.“ Denn angesichts des demografischen Wandels habe die Wirtschaft ein großes Interesse daran, dass Eltern rasch an ihren Arbeitsplatz zurückkehren. Doch bei den aktuell oft großen Gruppen könnten Erzieherinnen nicht so intensiv pädagogisch arbeiten wie nötig. „Um sich die Welt anzueignen, brauchen Kinder vor allem eines: Bindung.“

Andererseits schlage bei manchen Eltern das Pendel in einen „Förderwahn“ aus. Nicht nur, dass Kinder schon im Mutterleib mit klassischer Musik beschallt werden, auch Fremdsprachenkurse in Kindergärten sind en vogue. Da erscheint Spielen im Extremfall schon als Zeitverschwendung. „Frühkindliche Bildung darf aber nicht damit verwechselt werden, Kinder schon im Kindergarten zu beschulen“, warnt Fröbel-Expertin Rockstein. „Die Kinder lernen vielmehr im Spiel.“