Lotsen in die Vergangenheit: Im Alter als Stadtführer arbeiten
Bad Schmiedeberg (dpa/tmn) - Alle Straßen sind vertraut, die Häuser erzählen Geschichten von früher: Viele Senioren sind seit Kindertagen in ihrer Heimatstadt verwurzelt. Diesen Wissensschatz können sie nutzen - und als Stadtführer andere daran teilhaben lassen.
Wenn Bernhard Prutz durch seine Heimatstadt Bad Schmiedeberg führt, dann geht es weniger um Daten und Fakten des traditionsreichen Kurorts in Sachsen-Anhalt. Der 78-Jährige hat sein ganzes Leben dort verbracht - und erzählt den Teilnehmern die Geschichten aus dem Alltag, die nicht in den Reiseführern stehen.
„Biografische Stadtführung“ nennt sich das Konzept. Es wurde vom Zentrum für Bewegungsförderung bei der Landesvereinigung für Gesundheit in Sachsen-Anhalt entwickelt. „Ziel ist es, dem Bewegungsmangel bei Senioren vorzubeugen, etwas gegen das Vergessen zu tun und ihnen gleichzeitig die Möglichkeit zu geben, neue Kontakte zu knüpfen“, erläutert Sigrid Wege, Gesundheitsmanagerin bei der Organisation in Magdeburg.
Interessierte Senioren wie Bernhard Prutz erhalten eine Schulung, in der sie die Planung und Gestaltung von Stadtführungen einüben und lernen, wie man historische Ereignisse auf spannende Weise mit dem eigenen Erleben verknüpft.
„Biografische Stadtführungen sollen auf keinen Fall den professionellen Gästeführern Konkurrenz machen“, stellt Sigrid Wege klar. Denn um als Profi-Gästeführer Touristengruppen durch eine Stadt zu führen, ist eine umfangreiche Ausbildung erforderlich. Meist wird sie von den örtlichen Tourismusinstitutionen angeboten.
„Gästeführer ist ein professionell ausgeübter Beruf“, betont Ingrid Schwoon, Mitglied im Vorstand des Bundesverbandes der Gästeführer in Deutschland.
Ausüben lässt sich der Beruf auch noch im Rentenalter: „Gästeführer sind überwiegend selbstständig tätig, und es gibt keine vorgeschriebene Altersgrenze“, sagt Ingrid Schwoon. Eine gute Kondition ist allerdings Voraussetzung: „Stadtführungen finden überwiegend zu Fuß statt und dauern in der Regel zwei Stunden.“
Dass biografische Stadtführungen und Profitouren nebeneinander bestehen können, zeigt das Beispiel Berlin. Dort bieten seit fast 20 Jahren Senioren bei dem Verein „Stadtführungen mit Erfahrungswissen“ in vielen Stadtvierteln Touren abseits der üblichen Touristenattraktionen an.
„Wir haben bei der Wahl unserer Themen natürlich viel mehr Freiheiten als die professionellen Gästeführer“, sagt Jürgen Drömmer. Der 76-Jährige ist seit mehr als zehn Jahren bei den Stadtführungen dabei.
Die Touren sind bewusst persönlich gehalten: Die Senioren-Stadtführer zeigen, wo sie aufgewachsen sind oder wo sie gearbeitet haben. Die Mehrzahl der Teilnehmer sind Berliner, viele Stammgäste sind darunter. „Denen muss man natürlich auch immer wieder Neues bieten“, sagt Jürgen Drömmer.
Ein Gewinn für beiden Seiten ist die ehrenamtliche Stadtführertätigkeit auch für den Bad Schmiedeberger Bernhard Prutz: „Von den Führungen habe ich selbst natürlich auch etwas. Sie trainieren das Gehirn und bringen mich mit anderen Menschen zusammen.“