Nur kein schlechtes Gewissen: Neinsagen lernen
Heidelberg (dpa/tmn) - Es sind nur zwei Buchstaben mehr: Trotzdem fällt es vielen schwer, „Nein“ statt „Ja“ zu sagen. Oft steckt dahinter die Angst, eine schlechte Freundin oder egoistisch zu sein.
Doch Neinsagen ohne schlechtes Gewissen kann man lernen.
Kerstin könnte sich in den Hintern beißen. Warum nur hat sie sich wieder breitschlagen lassen? Ihr Freund wollte spontan eine Party schmeißen, jetzt bleibt die Vorbereitung des Essens an ihr hängen. Dabei hätte Kerstin gerne „nein“ gesagt, als ihr Freund die typische „Kannst du mal eben schnell...“-Frage stellte. Stattdessen kam ihr ein „Na klar, mach ich“ über die Lippen. Situationen wie diese passieren fast jedem: Neinsagen klingt in der Theorie definitiv leichter als es in der Praxis ist. Experten raten deshalb, das Neinsagen zu üben - so lange, bis es ohne langes Überlegen und schlechtes Gewissen ausgesprochen werden kann.
Manche können im Job Leuten schwer Bitten abschlagen, andere knicken bei Verwandten oder Freunden ein, die ständig Wünsche und Aufträge an sie herantragen. Um zu verstehen, wann und warum aus einem Nein ein Ja wurde, müssen Betroffene sich selbst auf die Schliche kommen. „Es ist wichtig, dass man diese Situationen analysiert“, sagt Monika Radecki aus Heidelberg. Die Autorin bietet zum Thema „Nein sagen“ Trainingskurse an. Denn nur wer durchschaut, welche eingeschliffenen Muster ihn am Neinsagen hindern, kann diese in Zukunft bekämpfen.
Um sich Situationen bewusst zu machen, können verschiedene Strategien zum Zuge kommen. „Das kann ein ruhiger Moment sein, in dem ich mich zurückziehe und vergangene Situationen aufschreibe.“ Eine andere Möglichkeit sei ein Gespräch mit dem Partner oder einer Freundin, in dem man vergangene Fälle durchspielt.
Dass man in einer Situation nicht genug Durchsetzungskraft bewiesen hat, zeigt sich auch körperlich. „Zum Beispiel fragt mich jemand was und in mir zieht sich alles zusammen“, sagt Radecki. Wer lerne, auf solche Zeichen zu achten, bekomme ein gutes Gespür dafür, wann ein Nein angebracht ist.
Es gibt zahlreiche Gründe, die Menschen darin hindern, klare Grenzen zu ziehen. „Bei einigen spielt die Erziehung eine große Rolle. Andere haben Angst, dass die Beziehung zu der anderen Person leidet, wenn ich Nein sage“, erklärt Markus Biebl, Psychotherapeut aus Bad Säckingen. Auch das Selbstbild funke oft dazwischen: Wer von sich selbst erwartet, allzeit hilfsbereit und großzügig zu sein, tut sich mit Absagen schwerer als andere.
Die hohen Erwartungen an sich selbst kennt auch Kerstin. Soll sie eine Freundin am Wochenende auf eine Party begleiten, sagt sie zu - obwohl die Lust darauf gering ist. Warum sagt sie dann nicht einfach ab? „Ich will keine schlechte Freundin sein“, sagt sie. Außerdem werde die Freundin nicht locker lassen, so dass Kerstin Erklärungen und Argumente finden muss.
Das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen, ist aber schon der erste Fehler: „Ein einfaches, freundliches Nein genügt. Lange Erklärungen müssen nicht sein“, sagt Radecki. Unterstrichen werden kann die sachliche Ebene durch Gesten wie Arme verschränken oder langsam den Kopf schütteln. In jedem Fall gilt: Man muss hinter dem Gesagten voll und ganz stehen, damit die Absage authentisch wirkt.
Oft scheitert das Neinsagen jedoch nicht am Willen des Einzelnen, sondern am Zeitdruck. Ein Trick ist deshalb: „Verschaffen Sie sich Bedenkzeit“, rät Biebl. Bittet einen jemand um etwas, könne man entgegnen: „Ich möchte es mir überlegen, ich sage dir später Bescheid.“ Die Bedenkzeit schaffe einen Puffer, um herauszufinden: „Will ich zusagen oder helfen? Schaffe ich das?“.
Die Schwierigkeit am Neinsagen hat auch damit zu tun, dass es zwei Seiten betrifft. Denn wer sich zu einem Nein durchgerungen hat, muss immer noch die Reaktion der Gegenseite aushalten. Hat man bisher nur wenige Dinge abgelehnt, erntet man von Freunden oder Verwandten schon mal ein verständnisloses „Was ist denn mit dir los?“. Von solchen Reaktionen darf man sich nicht irritieren lassen: „Wichtig ist, sich treuzubleiben und das auszuhalten“, sagt Biebl.
Denn dabei mache man eine wichtige Erfahrung: Trotz Nein zur Party-Organisation, geht die Freundschaft nicht auseinander. Die gute Nachricht ist: Mit jedem „Nein“ wird es in Zukunft leichter. Und zugleich bietet es die Chance, sein Selbstbild zu erweitern: „Man erkennt, dass man auch mal böse und nicht hilfsbereit sein darf. Das bedeutet einen Gewinn an Freiheit“, sagt Biebl.
Literatur:
Monika Radecki: Nein sagen. Die besten Strategien, Haufe-Lexware, 128 Seiten, 6,90 Euro, ISBN-13: 9783648012482