Samenspenderkinder: Wenn ein Puzzleteil im Leben fehlt

Köln (dpa) - „Ich würde schon gern wissen, wer er ist“, sagt Nicole aus Düren bei Aachen und nippt an ihrer Schorle. Nicole ist 30, gelernte IT-Systemkauffrau und studiert berufsbegleitend Wirtschaftsinformatik.

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Zu ihrer Mutter hat Nicole eine enge Beziehung. Von ihrem Vater weiß sie dagegen nichts. Es gibt keine Fotos, keinen Namen. Ihre Eltern kennen sich nicht, haben sich noch nie gesehen, geschweige denn berührt: Nicole ist eines von etwa 100 000 Kindern in Deutschland, die durch Samenspende gezeugt wurden.

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„Ich habe mit zwölf die Wahrheit erfahren“, sagt Nicole und lacht darüber, wie ihre Mutter das Biologiebuch aus ihrem Schulranzen zog, um den richtigen Einstieg zu finden. „„Mama ich weiß schon. Bienchen und Blümchen und so“, hab ich damals gesagt“, erinnert sie sich. Aber eigentlich hatte das Gespräch mit etwas Anderem begonnen. Nicole machte sich Sorgen, dass sie werden könnte wie der Mann, der mit ihrer Mutter bis zu ihrem fünften Lebensjahr zusammen war.

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Als sie dann erfuhr, dass dieser Mann nicht ihr Vater ist, empfand es Nicole nicht als schlimm, ein Spenderkind zu sein: „Ich war so erleichtert, dass er nicht mein Vater ist.“ Er sei mit ihr und ihrer Mutter schlecht umgegangen. Nicole gräbt die manikürten Finger in die Maschen ihres türkisfarbenen Strickpullis. Böse auf ihre Mutter sei sie nie gewesen: „Ich bin ein echtes Wunschkind.“

Thomas Katzorke ist Reproduktionsarzt und hilft seit gut 45 Jahren Frauen und Familien, Kinder durch Samenspende zu bekommen. Zwischen 3000 und 4000 Euro kann eine solche Befruchtung bei ihm kosten. In seiner Praxis in Essen verhilft er nach eigenen Angaben jedes Jahr zu rund 1000 Schwangerschaften. Er rät Eltern oft davon ab, ihren Kindern zu sagen, dass am Anfang ihres Lebens eine Samenspende stand. Der Spender sei keine dritte Bezugsperson, meint er.

Jeder Mensch hat Anspruch auf Kenntnis der eigenen Abstammung. So steht es in der UN-Kinderrechtskonvention, und so hat bereits 2013 das Oberlandesgericht im westfälischen Hamm in einem Fall entschieden. Es sprach einem Spenderkind das Recht zu, den Namen seines leiblichen Vaters zu erfahren. Ein Gesetz, das diese Fragen der Abstammung regelt, gibt es in Deutschland aber bisher nicht.

Udo M. ist 70 und hat vor etwa 30 Jahren Samen gespendet. „Ich habe beim Blutspenden einen Flyer dazu gelesen“, sagt der frühere Sozialarbeiter. Über fünf Jahre hat er alle vier Wochen gespendet.

Heute ist Udo einer der wenigen, die offen darüber reden: „Vor einigen Jahren habe ich einen Artikel über ein Mädchen gelesen, dass seinen Papi sucht.“ Udo schluckt. Er selbst hat eine Tochter. Anschließend nahm er Kontakt auf und registrierte sich in einer DNA-Datenbank. Kurze Zeit später kam die Nachricht: Treffer gefunden, und Udo lernte seinen Sohn kennen.

Gewöhnlich hat ein Spender zwischen zehn und 15 Kinder. „Die Begegnung war im Grunde wenig spektakulär“, sagt er. Keine kitschigen Umarmungs-Szenen - man habe sich einfach unterhalten. Seitdem halten die beiden per E-Mail ein bisschen Kontakt.

Etwa 50 bis 100 Euro bekommt ein Mann in der Regel für eine Samenspende. „Wir brauchen viel mehr Spender, die es tun, um Paaren zu helfen, die sich Kinder wünschen“, findet Tobias Fischer. Er hat an der Hochschule RWTH Aachen seine Promotion über die ethischen Aspekte der Befruchtung durch Samenspende geschrieben. Er findet sie unter der Bedingung, dass es rechtliche Sicherheit für beide Seiten gibt, vertretbar: „Ein Kind braucht ein liebevolles Umfeld - keine Blutsverwandtschaft.“

Der Verein „Spenderkinder“ dagegen meint, das reiche nicht aus: Neben der Umwelt hätten nun mal auch Gene starken Einfluss auf jeden Menschen. Der Verein setzt sich seit 2007 für die Rechte von Spenderkindern ein. Dass eine genetische Elternhälfte eine Grauzone bleibe, sei unvertretbar. Wie auch bei der Adoption sollte der biologische Vater in das Geburtenregister eingetragen werden. Das Vorgehen sei bisher zu sehr auf die Wünsche der Eltern zentriert.

Claudia Brügge ist verheiratet und Mutter. Als sie 40 war, haben sie und ihr Mann sich dazu entschlossen, ein Kind durch Samenspende zu bekommen. Heute setzt sie sich im Verein „DI-Netz“ für alle Paare und Familien in Deutschland ein, die Unterstützung brauchen.

„Für unser Kind wurde der Name des Spenders bei einem Notar hinterlegt“, sagt Brügge. Aber nicht nur die Rechte des Kindes wolle sie berücksichtigen, auch die Eltern müssten sich auf die besonderen Herausforderungen vorbereiten, wenn sie ein Kind zeugten, das mit dem Vater genetisch nicht verwandt sei. Es dem Kind früh zu sagen, sei ganz wichtig: „Je früher umso besser.“ Späte Aufklärung könne unter ungünstigen Umständen zum Schock führen.

Auch wenn das Kind da sei, falle es manchen Eltern schwer, einen passenden Zeitpunkt zu finden, dem Kind alles altersangemessen zu erklären. „Ich bin froh, dass jemand meiner Mama geholfen hat“, sagt Nicole. Für die Zukunft wünscht sie sich jedoch bessere Regeln: „Bitte endlich ein Gesetz, das die Rahmenbedingungen für alle Beteiligten klarstellt!“ Laut Justizministerium ist zwar bereits ein Arbeitskreis zum Thema Abstammung zusammengetroffen, aber mit einem Beschluss oder Gesetz könne erst Mitte 2017 gerechnet werden.

Über das Thema werde zu wenig gesprochen, findet Nicole. Grundsätzlich gebe es ihrer Meinung nach nur zwei Reaktionstypen: „Einmal Typ Frau, die verstehen es meistens, warum ich meine Herkunft kennen möchte. Und dann Typ Mann: „Wie, du willst das wissen? Du willst doch nur das Geld von deinem biologischen Vater.““ Nicole schlürft ihre Schorle aus dem Glas. „Selbst wenn mein Vater Millionär wäre: Es interessiert mich nicht.“ Sie blinzelt in die Herbstsonne. „Ich möchte einfach nur wissen, wer das zweite Puzzleteil ist.“