Pulverfass Schuldenkrise: Was kommt auf uns zu?
Berlin (dpa) - Kein Tag ohne Krise: Das europäische Schuldendrama beschäftigt die Öffentlichkeit wie sonst nur große Naturkatastrophen. Und das, nachdem der Schock der Lehman-Pleite und der folgenden Weltrezession gerade erst halbwegs verdaut ist.
Nach der Krise ist vor der Krise. Im Jahr zwei nach der globalen Rezession wächst die Sorge, dass das EU-Schuldendebakel weiter eskaliert und die Weltwirtschaft in den Abgrund reißt. Vielen Menschen macht vor allem Angst, dass sie keine verlässlichen Vorhersagen zu hören bekommen. Wegen der komplizierten Wirkungsketten und Verflechtungen in der Ökonomie sind die auch gar nicht möglich. Das hat die zurückliegende Finanzkrise gelehrt. Die begann mit dem Platzen einer Immobilienblase in den USA - und alle Experten hielten das für beherrschbar. Und doch stand am Ende eine der schlimmsten weltweiten Rezessionen. dpa zeigt mögliche Szenarien.
Wird der Euro jetzt zum Spielball an den Märkten - ist der Wert der Währung bedroht?
Der Wert des Euro könnte tatsächlich verfallen, wenn die Schuldenkrise weiter eskaliert. Allerdings hat der Euro bisher im Laufe dieses Jahres im Verhältnis zur US-Währung sogar deutlich gewonnen und wird mit rund 1,40 Dollar relativ hoch bewertet. Experten erwarten, dass das auch so bleibt, weil das Vertrauen in den Dollar noch auf absehbare Zeit angeschlagen sein wird. Nachrichten zur Euro-Schuldenkrise könnten aber „stets kurze, heftige Gegenbewegungen auslösen“, so die Prognose der Commerzbank.
Die Erfahrung zeigt, dass wir aber auch mit einem deutlich niedrigeren Kurs gut leben können: In den Jahren nach der Euro-Einführung war der Euro schließlich bis auf etwa 0,83 Dollar abgesackt - ohne eine Katastrophe auszulösen. Ein niedriger Eurokurs kann sogar Vorteile haben, weil Exporte in den Dollarraum damit billiger werden. Im Gegenzug werden allerdings in Dollar abgerechnete Importe teurer; das würde vor allem viele Rohstoffe und Energielieferungen betreffen.
Wären wir nicht trotzdem mit der „guten alten D-Mark“ besser bedient?
Die D-Mark war die „teuerste“ Währung im Zeitalter vor der Euro-Einführung. Fast alle anderen Währungen der heutigen Eurozone, ob französischer Franc, spanische Peseta oder italienische Lira. hatten über die Jahre an Wert zur D-Mark verloren - zum Teil sogar kräftig. Für die deutschen Exporteure war dies immer wieder ein Riesenproblem - wie zuletzt Mitte der 90er Jahre, als die Lira neben anderen südeuropäischen Währungen zur D-Mark heftig an Wert verlor und damit zum Beispiel den italienischen Maschinenbauern am Weltmarkt erhebliche Vorteile gegenüber ihren deutschen Konkurrenten verschaffte. Dieses Problem ist mit der Euro-Einführung Geschichte. Der Euro belastet also eher die Volkswirtschaften, die früher weichere Währungen hatten - und gerade jetzt in der Krise auch wieder heftig abwerten würden.
Muss man sich um den Wert des Euro also gar keine Sorgen machen?
„Ein Euro ist ein Euro“, hat der erste Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), der Niederländer Wim Duisenberg, immer wieder gesagt. Er meinte damit, dass der Wechselkurs, also der „Außenwert“ des Euro nicht das wichtigste ist. Entscheidend ist der „Binnenwert“, also die Kaufkraft der eigenen Währung. Duisenbergs Nachfolger, Jean-Claude Trichet, betont stets, dass Inflation vor allem der breiten Masse der Bevölkerung, Rentnern und ärmeren Menschen schadet. In dieser Hinsicht kann der Euro eine gute Bilanz vorweisen: „Der Euro ist bislang deutlich stabiler als es die D-Mark war“, bilanziert der Bundesverband deutscher Banken. Im Durchschnitt betrug demnach die Inflationsrate in Deutschland seit Euro-Einführung weniger als 2 Prozent jährlich - gegenüber 2,8 Prozent in der rund 50 Jahre währenden D-Mark-Ära.
Droht denn ein Crash an der Börse?
Genaue Vorhersagen sind nicht möglich. Aber es gibt Erfahrungen aus der Vergangenheit: Negative Nachrichten zur Schuldenkrise haben zuletzt immer wieder für Rückschläge am Aktienmarkt gesorgt. Aber noch setzt sich der Aufwärtstrend durch. „Der Gewinntrend für den deutschen Aktienmarkt zeigt nach oben“, weil die Unternehmen immer noch sehr günstig bewertet seien, schreibt die Commerzbank in ihrem wöchentlichen Marktüberblick. Das könnte sich erst ändern, wenn die Schuldenkrise auch in den USA weiter eskaliert und die Wirtschaft in eine neue Rezession treibt, so war es zumindest bei der Finanzkrise. Damals war der Deutsche Aktienindex von einem Rekordstand über 8100 Punkten Mitte 2007 bis unter 4000 Punkte Anfang 2009 abgestürzt. Derzeit rangiert der Dax in der Größenordnung von 7200 Punkten.
Müssen wir uns schon wieder auf eine Rezession einstellen - und was geschieht dann?
Viele Volkswirte haben schon zu Jahresbeginn 2011 die Schuldenkrise als die größte Gefahr für die Weltwirtschaft beschrieben. „Geriete die Staatsschuldenkrise außer Kontrolle, käme es wie nach der Lehman-Pleite zu einem Unsicherheitsschock, der vermutlich eine schwere Rezession auslösen würde“, sagte damals Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Als Auslöser eines Abschwungs sind derzeit drei mögliche Wege denkbar: Die ohnehin angeschlagenen Krisenländer in Europa - neben Griechenland, Irland und Portugal auch die beiden großen Ökonomien Spanien und Italien - schaffen die Wende nicht; das könnte auch die Lokomotive Deutschland auf Dauer nicht ausgleichen, eine Abwärtsspirale käme in Gang.
In der Folge der Schuldenkrise könnten auch Banken in Europa und den USA in Schwierigkeiten geraten, von denen heute noch niemand etwas ahnt - und eine ähnliche Kettenreaktion wie nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers wäre möglich. Und schließlich steht in den USA mit ihrer gigantischen Staatsverschuldung ein weiteres Pulverfass bereit. Sollte die gesetzliche Schuldengrenze in Amerika bis Anfang August nicht höher gesetzt werden, droht der Supermacht erstmals Zahlungsunfähigkeit und eine Abstufung durch die mächtigen Ratingagenturen - mit unabsehbaren Folgen für das Weltfinanzsystem.