Aerial Yoga kräftigt und entspannt in der Schwebe

Berlin/Saarbrücken (dpa/tmn) - Einmal schwerelos durch den Raum gleiten - das ist normalerweise Astronauten vorbehalten. Und einen Parabelflug kann auch nicht jeder einfach mal so mitmachen. Ein kleines bisschen Loslösen von der Schwerkraft können sich Sportler aber beim Aerial Yoga.

Sie hängen kopfüber in der Luft, pendeln in der Waagerechten über dem Boden oder lassen wie in der Hängematte die Seele baumeln. Und sie machen zwischendrin ein bisschen Yoga, etwas Luftakrobatik und ein paar Turnübungen: Wer bei Björn Heucke in Berlin einen Kurs in Aerial Yoga belegt, muss sich auf ungewohnte Perspektiven und unterschiedliche sportliche Herausforderungen gefasst machen. Die Teilnehmer trainieren mit einem drei Meter breiten, schaukelartig an der Decke befestigten Tuch aus dünnem Nylon - nicht in luftiger Höhe, aber immerhin ein paar Zentimeter über dem Boden.

Sie arbeiten dabei mit dem eigenen Körpergewicht und fast ohne die sonst störende Schwerkraft. Die Sportler schwingen, hängen, kreiseln, drehen und dehnen sich mit und im Tuch. „Zentrales Thema sind Umkehrpositionen“, sagt Heucke. Wo sonst nur geübte Yogis gekonnt Kopf stehen, bekommen nun auch Anfänger mit Hilfe der Tücher Über-Kopf-Haltungen hin. Und zwar, indem sie ihre Beine darin verschlingen. Der Kopfstand solle alle Organe aus ihrer gewohnten Lage befreien und so den ganzen Menschen entspannen und umkrempeln, erläutert der Aerial-Yoga-Anbieter.

Die Grundidee ist nicht neu: „Man kennt diese Art aus dem medizinischen beziehungsweise therapeutischen Yoga in Indien“, erklärt die Yoga-Expertin Uschi Moriabadi von der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement in Saarbrücken. „Dort werden die Menschen mit Seilen in Position gebracht.“ Auch Heucke verweist nach Indien, wo Fakire Yoga mit Seilen als Hilfsmittel machten.

Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Anbietern und Bezeichnungen für die Mixtur aus Yoga, Pilates, Tanz und Gymnastik. Aerial Yoga ist Heucke zufolge der Oberbegriff, der sich markenrechtlich nicht schützen lässt. Eingetragene Warenzeichen sind zum Beispiel AntiGravitiy Yoga und Flyoga, andere nennen es schwereloses Yoga oder Slingyoga. Da es kein reines Yoga ist, kennt der Berufsverband der Yogalehrenden in Deutschland in seinen Reihen niemanden, der diese Kombination ausübt oder unterrichtet.

Schlecht ist das Konzept Moriabadi zufolge deshalb aber nicht. „Wenn man die sportliche Seite betrachtet, stellt man fest, dass ohne den Bodenkontakt bei den Übungen viel mehr Muskulatur dabei ist, die arbeiten muss.“ Um sich im Tuch zu halten, würden die Muskeln im Rumpf extrem gefordert. Das sei gut für die Wirbelsäule und deren Aufrichtung sowie die Haltung insgesamt. Hinzu komme der spielerische Effekt durch das Tuch. „Es ist ein superschönes Gefühl, wenn ich schwinge“, sagt Moriabadi. „Das sind Bewegungen, die der Mensch sonst nicht macht.“

Auch Prof. Herbert Löllgen von der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention kann dem Konzept einiges abgewinnen. „Es hat den Vorteil, dass die Schwerkraft zum Teil aufgehoben ist“, sagt der Sportarzt, der die europäischen Astronauten medizinisch betreut und durch Parabelflüge selbst das Gefühl kurzzeitiger Schwerelosigkeit kennt. „Die Belastung auf Hüfte und Kniegelenke ist geringer als ohne Tuch.“ Der Kopfstand sei eine besondere Form der Entspannung - sowohl mental wie körperlich: Er entlaste Beine und Wirbelsäule und könne Muskelverspannungen lösen. Durch den Perspektivwechsel sei er zugleich eine Abkehr von der normalen Welt.

Doch nicht für jeden ist Aerial Yoga geeignet: „Das Kopfüberhängen ist zumindest für Ungeübte mit einem Risiko verbunden“, erläutert Löllgen. Denn dabei verlagerten sich bis zu zwei Liter Blut vom Unterkörper in den Kopf. Das könne den Kreislauf belasten, zu Sehstörungen und bei Menschen mit Bluthochdruck sogar zum Schlaganfall führen. Bei einer Herzschwäche sei ein Lungenödem möglich. Der Mediziner empfiehlt daher, sich vor der ersten Stunde vom Arzt durchchecken zu lassen. Und sie sollten nicht mit Gewalt oder gegen den Gelenkwiderstand versuchen, die gewünschte Position im oder mit dem Tuch einzunehmen.

Moriabadi zufolge ist eine Grundfitness nötig, um Aerial Yoga zu machen. Absoluten Sportneulingen rät sie daher davon ab. Heucke sieht zwei Seiten: „Einerseits ist es sehr leicht, weil man schnell erste Erfolgserlebnisse wie das Kopfüberhängen hat“, sagt er. „Andererseits ist es sehr anspruchsvoll, weil man schon trainieren muss, um es gut zu beherrschen.“ Anfänger kämen dabei ganz schön ins Schwitzen.

Wer den Gedanken der Schwerelosigkeit reizvoll findet, sich aber nicht den mit Aerial Yoga verbundenen möglichen Gesundheitsgefahren aussetzen will, dem rät Löllgen eher zu Aquagymnastik. Durch den Auftrieb im Wasser kommt der Körper in einen leichten Schwebezustand, die Gelenke werden entlastet. Das ist zum Beispiel bei Rheuma eine gute Trainingsalternative.

Literatur:

Uschi Moriabadi: Für Yoga ist es nie zu spät, BLV, 96 Seiten, 19,95 Euro, ISBN-13: 978-3-8354-0549-3