Berlin, London und das „Brünch“ - Wie sich Frühstück ändert
Berlin (dpa) - Herr Lehmann, die Hauptfigur aus dem Kinofilm und dem gleichnamigen Roman, hasst sie: diese „geradezu unmenschliche Ansammlung von Frühstückern“, die sich in seiner Berliner Kneipe tummelt.
Er bestellt lieber morgens um elf Schweinebraten.
Frühstücken bis in den Nachmittag war in Deutschland schon zu Zeiten von Herrn Lehmann anno 1989 in - und ist es heute noch. Besonders in Berlin, der Hauptstadt der Hipster und von Menschen mit „Projekten“, die es nicht eilig haben, ins Büro zu kommen.
Was heute anders ist: In Großstädten hat sich ein richtiger Hype entwickelt, ähnlich wie bei den Burger-Imbissen. An manchen Cafés stehen die Leute Schlange. Aber nicht für Wurst und Käse, sondern für internationales Essen - French Toast, Eggs Benedikt, Pancakes oder die mexikanische Eierspezialität Huevos Rancheros. Gerne auf den Karten: Avocados in jeglicher Form, Bloody Mary und „Flat White“, eine Art starker Cappuccino.
Das „ House of Small Wonder“ in Berlin-Mitte etwa ist ein Ableger eines Cafés aus Brooklyn und serviert Essen mit europäisch-japanischem Twist. Der Inhaber ist ein Israeli, der mit einer Japanerin verheiratet ist. Das ist typisch für Berlin im Jahr 2015: Die Stadt ist internationaler geworden. Die zugezogenen Ausländer, die „Expats“, prägen Kunst, Nachtleben und auch die Gastroszene. Ihre Amtssprache: Englisch.
„Ich wollte nicht das verkaufen, was man in anderen Cafés bekommt“, sagt Shaul Margulies (39) vom „House of Small Wonder“. Er sagt, dass es ihm gar nicht so recht ist, wenn die Gäste die Wendeltreppe zum Café hoch anstehen und eine halbe Stunden warten müssen. Dann nämlich wachsen die Erwartungen, die Kommentare im Internet können genervt sein. Generell laufe das Café gut, sagt er. Und die deutsche Bürokratie mag der Gastronom tatsächlich. Die sei viel besser als in New York.
Ähnlich international ist „ The California Breakfast Slam“ („Ca.B.Slam“) im In-Viertel von Neukölln. Dort gibt es amerikanisch-mexikanisch angehauchte Küche: Hausgemachte Biscuits oder Frühstücks-Burritos, das sind gefühlte Teigfladen. Und natürlich die amerikanischen Pfannkuchen (Pancakes). Auf seiner Homepage lockt das Café mit „Foodporn“, Bildern von „Essensporno“. Ein Insider-Tipp für Touristen in Berlin: Frühstücken in türkischen Cafés, mit frisch gebackenen Sesamkringeln, Rührei, Oliven, Schafskäse und Sucuk, der scharfen Wurst. Das ist um einiges billiger als die Bio-Gerichte in den angesagten Läden. Ein Gläschen Tee gibt es für 80 Cent.
Generell geht der Trend weg vom Büfett und hin zu individuellen Gerichten, hat Matze Hielscher (35) vom Stadtmagazin „Mit Vergnügen“ beobachtet. „Das ist wirklich eine andere Welt. Es ist nicht mehr: Wir schmieren uns jetzt ein Brötchen.“ Ein Laden wie das „House of Small Wonders“ wäre vor zehn Jahren nicht denkbar gewesen. Hielscher kennt auch den großen Frühstücksmarkt in der Kreuzberger Markthalle IX, der Weizengras-Smoothies und vietnamesischen Porridge verkauft. „Das war mir aber zu voll.“
Die Stadt werde auf jeden Fall internationaler und beim Essen etwas gesetzter. „Die Berliner werden es nicht gerne hören: Es wird immer mehr ein bisschen München.“ Was aber anders ist: In Berlin ist Sonntag ein Ausgehtag - nach dem Frühstück geht es in die Clubs. Hielscher sagt: „Das ist auf jeden Fall nicht wie in München.“
Auch der Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) hat den Wandel der Frühstückskultur bemerkt. „Der Gast von heute weiß mehr, ist mobiler, internationaler, hat mehr Auswahlmöglichkeiten und achtet zudem mehr auf Qualität, Herkunft, aber auch auf den Preis“, sagt Sprecherin Stefanie Heckel. Die Ansprüche seien gewachsen. Der Verband findet sogar: „Niemals zuvor konnte der Gast so gut, so vielfältig und abwechslungsreich frühstücken wie heute.“
In Deutschland ist die Zahl der Cafés zuletzt gestiegen und lag 2013 bei mehr als 11 000. Berlin galt früher als kulinarische Wüste. Das ist längst vorbei. Das Frühstück wird sogar exportiert: Eine Berlinerin will die Londoner zum deutschen Brunch bekehren. „ Brünch“ nennt Noemi Dulischewski (29) ihr Pop-up. „Ich wollte, dass es deutsch klingt.“ In unregelmäßigen Abständen bucht sie Räume und tischt auf, was an der Themse als typisch deutsch gilt: Fritz Cola und Club Mate, Sauerteig-Brot, Pflaumenmus, Nutella, Vanillequark und Eier mit Remoulade. Dazu legt schon mal ein DJ auf, Alkohol gibt es auch - für die passende Clubatmosphäre beim Wochenendfrühstück.
In London kann das Frühstück den Ausflug ins Nachtleben ersetzen. Im „ Breakfast Club“ erreicht die Musik in den Filialen schon morgens um acht fast Clublautstärke. Es gibt zwar keinen Türsteher, aber eine Stunde Warten ist am Wochenende locker drin, auch mal mehr. Die Gäste, fast ausschließlich zwischen Anfang 20 und Ende 30, nehmen es gelassen. In London gehört Anstehen zum Abendessen dazu. Hier steht man eben vormittags. Ob sich das auch in Deutschland durchsetzen wird?