Gesundheit Bluterkrankheit Hämophilie B: Neue Lebensqualität dank Gentherapie

Seyed Shaddel kommt mit einem Lächeln zum Interviewtermin. Der 34-Jährige erzählt, dass er vor Kurzem geheiratet hat. Es scheint gut zu laufen im Leben des jungen Mannes. So war das nicht immer.

Bluterkrankheit Hämophilie B: Gentherapie
Foto: Klaus Becker

Seyed Shaddel hat Hämophilie B – eine Bluterkrankheit, die bei starken Blutungen lebensbedrohlich werden kann. Über viele Jahre hinweg musste er sich deshalb jede Woche ein Mittel mit Gerinnungsfaktoren spritzen. Seit er im Rahmen einer klinischen Studie eine neuartige Gentherapie erhalten hat, ist damit Schluss. „Das ist jetzt eine ganz andere Lebensqualität“, freut sich der Berliner.

Bluterkrankheit Hämophilie: Wöchentliche Spritzen bislang unverzichtbar

„Bei unserer Krankheit ist es so, dass uns ein Gerinnungsfaktor fehlt, und den müssen wir ersetzen, um nicht zu verbluten, wenn es zu einer Verletzung kommt“, erläutert Seyed Shaddel. Als Gerinnungsfaktoren werden spezielle Proteine bezeichnet, die für eine funktionierende Blutgerinnung nötig sind und bei Menschen mit Hämophilie fehlen.

PD Dr. med. Robert Klamroth ist Seyed Shaddels behandelnder Arzt und Chefarzt der Klinik für Angiologie und Hämostaseologie am Berliner Vivantes Klinikum im Friedrichshain. Der Experte ergänzt: „Bei der Hämophilie A fehlt der Gerinnungsfaktor VIII und bei der Hämophilie B fehlt der Faktor IX.“

Die wichtigste Therapie sowohl bei der Hämophilie A als auch bei der Hämophilie B besteht darin, den fehlenden Gerinnungsfaktor regelmäßig zu spritzen. Schon als Baby habe er deshalb einmal pro Woche eine Spritze bekommen, sagt Seyed Shaddel. „Das ist für die Kleinen sehr unangenehm“, berichtet Dr. Klamroth. Damit die Kinder für die Injektionen nicht auch noch ständig in die Arztpraxis müssen, lernen die Eltern, das Mittel mit den Gerinnungsfaktoren selbst zu spritzen.

„Später habe ich mir dann die Spritzen selbst gegeben“, sagt Seyed Shaddel. Insgesamt sei er mit dieser prophylaktischen Therapie zwar immer gut klargekommen, dennoch habe es in seiner Kindheit und Jugend mit der Bluterkrankheit immer wieder nervenaufreibende Situationen gegeben. Beispielsweise, als er sich mit einem Teppichmesser schnitt und fast seinen Finger verlor. „Es ist alles gut gegangen“, erinnert sich Seyed Shaddel, „aber ich war zehn Tage im Krankenhaus.“

Das alles kann psychisch belasten. Fast die Hälfte der jungen Erwachsenen mit Hämophilie berichtet, sie hätten Ängste und/oder Depressionen. Es sind aber nicht nur die akuten oder möglichen Gefahrsituationen, die Menschen mit Hämophilie zusetzen können. Die ständige Anwesenheit der Krankheit im Alltag und die Einschränkungen, die sie mit sich bringt, können ebenfalls gehörig an der Lebensqualität nagen. Auch die wöchentlichen Infusionen leisten dazu ihren Beitrag – was paradox erscheint, sollen sie doch ein weitgehend normales Leben ermöglichen. Zugleich machen sie dieses aber unmöglich, weil sie die Krankheit Woche für Woche aufs Neue in den Fokus der Patienten rücken.

Neue Gentherapie: Einmalige Infusion statt lebenslange Injektionen

„Ich war ein begeisterter Fußballspieler und auch ziemlich talentiert“, erinnert sich Seyed Shaddel an seine Jugend. „Aber im Alter von 15 Jahren musste ich das dann aufgeben, weil ich oft Probleme mit Einblutungen in die Fußgelenke hatte. Fußball spielen vermisse ich schon sehr.“ Heute ist Seyed Shaddel IT-Techniker – ein Beruf mit Zukunft, den er auch mit der chronischen Erkrankung ausüben kann.

Eine Karriere als Fußballprofi blieb Seyed Shaddel zwar verwehrt, nicht aber die Teilnahme an einer klinischen Studie, die die Behandlung der Hämophilie B und damit die Lebensqualität von Betroffenen stark verbessern könnte. Seyed Shaddel: „Das war im Januar 2020, kurz bevor es mit der Corona-Pandemie losging. Ich habe im Rahmen dieser weltweit durchgeführten klinischen Studie einmalig eine Infusion bekommen.“

Dr. Klamroth erläutert, wie diese Gentherapie funktioniert: „Mit einem modifizierten Virus, genannt Vektor, als Transportmittel schleusen wir ein intaktes Faktor-IX-Gen in den Körper und bringen die Leberzellen dazu, den bislang fehlenden Gerinnungsfaktor zu produzieren. Die Patienten können dann ausreichend hohe Faktor-IX-Spiegel erreichen und sind vor Blutungen geschützt.“ Etwas einfacher ausgedrückt, versorgt die Gentherapie den Körper mit den nötigen Informationen, um den fehlenden Gerinnungsfaktor langfristig selbst herstellen zu können.

Bluterkrankheit Hämophilie B: Gentherapie
Foto: Klaus Becker

„Seit dem 20. Januar 2020 muss ich mir keine wöchentlichen Spritzen mehr setzen“, antwortet Seyed Shaddel auf die Frage, wie sich sein Leben seit der Gentherapie verändert habe. Und fügt hinzu: „Die Gentherapie hat bei mir bestens funktioniert.“ Zwar gibt es auch Patienten mit Hämophilie B, für die die neue Therapie nicht infrage kommt. Dr. Klamroth hierzu: „Den Studien zufolge funktioniert die Gentherapie bei den Hämophilie-Patienten nicht, die eine sehr große Menge an Antikörpern gegen den Vektor im Blut haben. Daher wird bei allen Patienten ein Antikörpertest vor der Gentherapie empfohlen.“ Aber bei den Patienten mit einem geringen Antikörperanteil funktioniere die Therapie den Studien zufolge sehr gut, so Dr. Klamroth weiter.

Wie geht es nun weiter mit der Gentherapie und ihrer Verfügbarkeit in Deutschland? Das ist noch offen. Der vermeintlich hohe Preis dieser Einmaltherapie sorgt für Diskussionen in Bezug auf die Erstattungsfähigkeit. Wie hoch der Preis tatsächlich ist, darüber klärt eine einfache Gegenüberstellung der Therapiekosten auf: Einmalgabe Gentherapie vs. Dauerbehandlung mit wöchentlicher Spritze.

Dr. Klamroth berichtet aus seiner Praxiserfahrung: „Die wöchentlichen Spritzen kosten jährlich bis zu 300.000 Euro. Nach zehn Jahren hat sich das amortisiert.“ Noch ist nicht bekannt, wie lange die Wirkung der Gentherapie anhalten kann. Alle im Rahmen der klinischen Studie Behandelten werden 15 Jahre lang nachbeobachtet, um die langfristige Wirksamkeit und Sicherheit der Gentherapie zu kontrollieren. Bei Seyed Shaddel sind es nun schon über dreieinhalb Jahre, in denen er keine wöchentlichen Spritzen mehr benötigt.