Das Wetter als Sündenbock
München (dpa) - Viele Menschen halten sich für wetterfühlig. Insbesondere bei Föhn klagen sie über Niedergeschlagenheit oder Migräne. Doch ein Münchner Forscher sagt: Das Wetter ist nur bedingt Schuld.
Ein Pieksen im Finger, das Zipperlein im Fuß oder einfach schlechte Laune - wenn an diesem Wochenende (5./6. Februar) das Wetter umschlägt, werden viele Menschen glauben, es zu merken. Laut einer Studie der Münchner Universitätsklinik und dem Institut für Demoskopie Allensbach von 2002 bezeichnen sich 54 Prozent aller Deutschen als wetterfühlig. Der Münchner Mediziner und Physiker Jürgen Kleinschmidt hat jahrelang zu dem Thema geforscht. Sein Fazit: Weniger das Wetter, sondern eher die persönliche Verfassung beeinflusst das Wohlbefinden maßgeblich.
„Natürlich wirkt sich das Wetter aus - wenn es heiß ist, schwitzen wir“, sagt Kleinschmidt, der bis zu seinem Ruhestand im März 2010 Professor für Balneologie (Bäderkunde) und Klimatologie an der Universität München war. Doch alles über die selbstverständlichen körperlichen Reaktionen hinaus sei kaum belegt. Kleinschmidt hält wenig von Biowetter, Mondphasen oder Stoffen in der Luft. Mit dem Biowetter sei es wie mit Horoskopen: „Sie nützen kaum etwas, aber sie schaden auch nicht.“
Eva Wanka von der Münchner Klinik für Umweltmedizin erklärt, dass die subjektive Wetterfühligkeit der Menschen zwar belegt sei. In einer Studie hat Wanka Menschen, die sich als wetterfühlig bezeichnen, Tagebuch über ihre Beschwerden führen lassen. Das Ergebnis: „Für zwei Drittel der Teilnehmer zeigte sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen den subjektiven Beschwerden und den Messungen meteorologischer Parameter.“ Ein eindeutiger objektiver Beweis fehle jedoch bislang.
Kleinschmidt sagt, wenn eine epidemiologische Studie Wetterfühligkeit belege, liege das oft daran, wie sie angelegt sei. Meist müssten die Teilnehmer nur aufschreiben, wenn es ihnen schlecht gehe. Umfassende Ergebnisse erhalte man aber nur, wenn die Teilnehmer jeden Tag ihr Befinden dokumentieren müssten. Doch gerade Wetterfühlige stiegen erfahrungsgemäß früher aus Studien aus, sagt Kleinschmidt. So sei es schwer, verlässliche Ergebnisse zu bekommen.
Die Universität München hat in den 1980er-Jahren eine Studie über die Föhn-Fühligkeit von Menschen durchgeführt. Kleinschmidt half bei der Auswertung. In Frühjahr, Herbst und Winter mussten Wetterfühlige jeden Tag einen Fragebogen ausfüllen. Das Ergebnis: „Es gab keine zwei Personen, die synchron am selben Tag sagten, es gehe ihnen schlechter als sonst“, sagt Kleinschmidt. Selbst ein und dieselbe Person reagiere je nach Tag unterschiedlich auf die gleiche Wettersituation. Wetterfühligkeit habe auch damit zu tun, wie gut ein Mensch trainiert sei. Menschen, die draußen arbeiten, hätten fast nie Probleme.
Für verlässliche Ergebnisse müssten deshalb Studien her, bei denen Klimaveränderungen künstlich geschaffen werden, sagt Wanka. Dazu müssten die Versuchspersonen sich länger in einem Raum aufhalten, wo etwa Luftdruckschwankungen künstlich gesteuert werden könnten.
Kleinschmidt hat derweil noch eine Erklärung für die unterschiedliche Wetterfühligkeit: „Das Wetter ist ein fantastischer Sündenbock.“ Natürlich gehe es den Menschen oft wirklich nicht gut, aber das könne auch am Alkohol des Vorabends liegen, am Stress im Beruf oder an Schlafmangel. Es sei schlicht einfacher, das Wetter für die Beschwerden verantwortlich zu machen. „Das ist damit quasi Schicksal“, sagt Kleinschmidt. So müsse man nicht weiter nach den Gründen suchen - und brauche auch nichts zu ändern.