Der Hausarzt wird geopfert
Kritiker befürchten, dass die Mediziner sich nicht gegen die Versorgungszentren behaupten können.
Düsseldorf. Ein Arzt aus Bayern hat seine Wut in Worte gefasst. Sein elfseitiges Dossier "Was derzeit wirklich passiert" kursiert im Internet und hat vielen Medizinern aus der Seele gesprochen. Dr. med. Jan Erik Döllein, Allgemeinarzt aus Neuötting, hat zwar eine "gut gehende Hausarztpraxis", befürchtet aber, dass Berufsgruppe bald ausstirbt.
Jan Döllein hat innerhalb von drei Monaten 1400 Reaktionen per E-Mail bekommen auf seine Streitschrift. "Nahezu keine war negativ", sagt der 38-Jährige. Eine seiner Sorgen hat drei Buchstaben und ist bereits rund 950 Mal in Deutschland vertreten: MVZ, Medizinische Versorgungszentren - Einrichtungen, in denen mehrere Ärzte verschiedener Fachrichtungen gemeinsam ihre Leistungen anbieten.
Die Idee: Unter einem Dach können Mediziner besser kooperieren und Therapie und Medikation für die Patienten besser abstimmen. Weite Wege und Doppeluntersuchungen entfallen, Zusatzservices wie Patientenschulungen sind möglich.
Doch es gibt viel Kritik: Zwar muss ein Medizinisches Versorgungszentrum laut Gesetz unter ärztlicher Leitung stehen, und der Gründungsboom in der Ärzteschaft hält an. Doch: Ärzte können hier auch angestellt sein. Damit sehen Kritiker die weisungsungebundene Therapiefreiheit der Ärzte in Gefahr, vor allem, wenn die angestellten Mediziner für ein MVZ arbeiten, das von einem Gesundheitskonzern betrieben wird.
"Ein Arzt als Angestellter ist als solches kein schlechter Arzt", sagt Christian Maxeiner, Internist aus Düsseldorf. "Aber eine langfristige, persönliche Betreuung fehlt. Denn ein Patient wird in einem MVZ nicht stets den gleichen, ihm vertrauten Arzt finden." Weil in Maxeiners unmittelbarer Nachbarschaft ein MVZ, handelte er: Zusammen mit Kollegen gründete er 2007 das erste fachübergreifende Ärztenetz in Düsseldorf.
Ärzte-Netzwerke sind ein Gegenentwurf zum MVZ: Auch hier profitiert der Patient von der Zusammenarbeit der Ärzte, die jedoch unabhängig bleiben. "Wir stehen ein für ein Arzt-Patienten-Verhältnis, das sich durch Vertrauen auszeichnet. Der Patient hat die freie Arztwahl, und die Ärzte haben Therapiefreiheit", sagt Maxeiner.
Der NAV-Virchow-Bund, Verband der niedergelassenen Ärzte in Deutschland, fördert solche Ärzte-Netze gezielt. Fast 400 gibt es bereits. "Das gesamte Gesundheitswesen und die ambulante Versorgung befinden sich in einem Strukturwandel", sagt Klaus Bittmann, Vorsitzender des Virchow-Bundes. Doch statt im Protest die Praxen zu schließen, müssten Ärzte sich jetzt zusammenschließen.
Gegenüber den großen Klinikketten (Rhön-Kliniken, Fresenius, Sana und Asklepios) mit Millionen-Umsätzen fühlen sich niedergelassene Ärzte bereits wie David gegen Goliath. Der Bayerische Hausärzteverband schlug deshalb Alarm: Nahezu 20 Prozent der deutschen Krankenhäuser seien bereits in "privater Hand von Aktionären". Medizinische Versorgungszentren an privaten Kliniken könnten die Therapiehoheit der Ärzte untergraben und Patientenströme steuern - an den niedergelassenen Ärzten vorbei.
Und dabei gehe es keineswegs nur um den eigenen Geldbeutel, meint Hausarzt Dr. Hermann Fischer aus Landsberg am Lech in Oberbayern: Es sei ein "entscheidender Paradigmenwechsel" eingetreten: "Der Arzt zählt nur noch als Leistungserbringer für eine möglichst billig einzukaufende Ware."
Ärztliche Kunst, Fürsorge, Begleitung, Zuwendung seien nicht mehr gefragt. Döllein sieht sogar "die Demokratie in Gefahr", falls die "gesamte Gesundheitsversorgung der Bevölkerung bald in den Händen einiger weniger großer Konzerne liege, die mit "Monopolstrukturen die Patientenströme lenken" und Preise diktieren könnten.
Das Bundesgesundheitsministerium hält das für abwegig. MVZ, mit der Gesundheitsreform 2004 ermöglicht, seien für mehr Wettbewerb und flexiblere Strukturen eingeführt worden. Dass niedergelassene Ärzte durch MVZ verdrängt würden, treffe nicht zu.
Doch der Gegenwind lässt nicht nach: Aktuell beschäftigt sich der Deutsche Ärztetag (Ulm, 20.-23. Mai) mit dem medizinischen Strukturwandel. Ärzte seien eben keine beliebig austauschbaren Dienstleistungserbringer, sagt Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer.
Das haben auch die Medizinischen Versorgungszentren erkannt. "Wir haben das Arzt-Patienten-Verhältnis unterschätzt", sagt der Sprecher des größten deutschen MVZ, des Berliner Polikums Friedenau. Das Polikum kehrt nun zu "Kernsprechzeiten" für alle Ärzte zurück - 45 Mediziner aus 20 Richtungen. Damit Patienten zu "ihrem Arzt" kommen können.