EHEC breitet sich weiter aus
Hamburg/Berlin (dpa) - Hoffnungsschimmer im Kampf gegen EHEC: Nach der Erbgutentzifferung erwarten Forscher in Kürze Hinweise, um neue Erkrankungen zu verhindern.
Trotz intensiver Fahndung blieb allerdings auch am Freitag unklar, über welches Lebensmittel sich die Menschen mit dem Durchfallerreger angesteckt haben. Spanische Gemüsebauern drohten mit rechtlichen Schritten: Nach ihrer Einschätzung haben die Hamburger Behörden bei den spanischen Gurkenproben, auf denen Erreger gefunden wurden, nicht sauber gearbeitet.
Nach Einschätzung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie deutet sich bei der Erkrankungswelle mit dem gefährlichen Darmkeim eine leichte Entspannung an. „Die Lage ist so, dass sie scheinbar sich etwas beruhigt, was die Zahl der Neuinfektionen angeht“, sagte der Präsident der Gesellschaft, Prof. Reinhard Brunkhorst, am Freitag in Hamburg. Er hoffe, dass sich der Trend bestätige und es tatsächlich weniger Neuinfektionen gibt. Die Mediziner wollen in einem bundesweiten Register die Behandlungsergebnisse von schwer erkrankten EHEC-Patienten zusammenstellen.
Bundesweit nahm die Zahl der EHEC-Infektionen weiter zu, mancherorts jedoch langsamer als in den Vortagen. In Niedersachsen etwa stieg die Zahl der Verdachtsfälle und bestätigten Erkrankungen von Donnerstag auf Freitag um nur 4 auf 418 Fälle. Nordrhein-Westfalen dagegen vermeldete im Vergleich zum Mittwoch rund 50 neue EHEC-Fälle. In Schleswig-Holstein stieg die Zahl der EHEC-Fälle seit Dienstag ebenfalls um rund 50 auf 517. 153 davon litten unter der schweren Komplikation hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS), teilte das Kieler Gesundheitsministerium mit.
An HUS sind in Deutschland bereits mindestens 18 Menschen gestorben. Bundesweit leiden mehr als 500 Patienten daran. Insgesamt wurde bei mehr als 2000 Menschen in Deutschland eine EHEC-Infektion nachgewiesen oder es besteht der Verdacht darauf.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich betroffen von der Krankheitswelle. „Die Bundeskanzlerin versteht sehr gut die Sorge, die dieses Thema für viele Menschen im Moment bedeutet“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin. Merkel lasse sich regelmäßig über den Stand der Dinge unterrichten.
Bei den HUS-Patienten setzen Ärzte weiter große Hoffnungen in die neue Antikörper-Therapie mit dem Mittel Eculizumab. Doch wie wirksam diese ist, bleibt ungewiss. „Wir werden einige Wochen warten müssen, bis wir eine gesicherte Datenlage haben“, sagte der Nierenspezialist Prof. Rolf Stahl vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE).
„Wir haben bisher kein eindeutiges Bild“, sagte auch Brunkhorst. Weder zu positiven Effekten, noch zu Nebenwirkungen. „Wir haben es mit einer der größten durch Bakterien verursachten Epidemien in Deutschland der letzten Jahrzehnte zu tun“, betonte er. Bis die Ursache für die Ausbreitung des Erregers gefunden sei, solle man sich strikt an die Empfehlung des Robert Koch-Instituts halten, Tomaten, Gurken und Blattsalate nicht roh zu essen.
Die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie wies darauf hin, dass der Einsatz von Antibiotika in bestimmten Situationen bei Patienten mit EHEC-Infektion und Komplikationen wie HUS medizinisch angebracht sein könne. „Insbesondere bei bereits eingetretenem HUS gibt es keine präklinischen und klinischen Daten, die eine Verschlechterung des Krankheitsbildes durch eine notwendige Antibiotikatherapie zeigen oder vermuten lassen.“
Woher der EHEC-Erreger kommt, ist noch immer nicht geklärt; sein Ursprung wird aber in Deutschland vermutet. Dies ergebe sich nach den Fallzahlen und der Herkunft der Fälle, sagte der Mikrobiologe Lothar Beutin vom Bundesinstitut für Risikobewertung. Das Epizentrum sei der Hamburger Raum. „Entweder ist die Quelle noch nicht versiegt, oder es ist eine Mensch-zu-Mensch-Ansteckung wie bei einem Schneeballsystem im Gange“, sagte Beutin der dpa.
Ein Erfolg im Kampf gegen den tödlichen Keim war Forschern aus Münster sowie aus Hamburg und China gelungen: sie hatten das Erbgut des Bakteriums entziffert. Der Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR), Andreas Hensel, bezeichnete die Entzifferung des Erbguts als einen wichtigen Schritt für die Behandlung der Patienten. So könnten die krankmachenden Eigenschaften erkannt werden, sagte er im ZDF-„Morgenmagazin“. „Und dann kann man daraufhin die Therapie ausrichten.“ Prof. Dag Harmsen vom Universitätsklinikum Münster sagte dem Radiosender HR-info: „Wir erhoffen uns im Laufe der nächsten Woche Hinweise zur Verhinderung weiterer Infektionen.“
Unterdessen richteten spanische Gemüseproduzenten massive Vorwürfe gegen die Hamburger Behörden. Es gebe erhebliche Zweifel, ob bei der Entnahme von Proben zum Nachweis des EHEC-Erregers durch die Hamburger Gesundheitsbehörde die notwendige Sorgfalt aufgewendet worden sei, erklärten Vertreter der spanischen Firma Frunet und eines Ökobauern-Verbandes am Freitag in der Hansestadt. So seien keine ordnungsgemäßen B-Proben entnommen worden. Gurken der gleichen Charge hätten nachweislich keine EHEC-Bakterien enthalten, vor Ort entnommene Proben seien negativ. Sie drohten rechtliche Schritte an.
Nach Warnungen der Hamburger Behörden vor spanischen Gurken ist der Markt für spanisches Gemüse eingebrochen. „Wir verkaufen nichts mehr. Wir müssen die Felder mit Gurken und Zucchini abernten und das Gemüse dann vernichten“, berichtet Landwirt Miguel Cazoria. Er hat die Gurken angebaut, die in Hamburg zunächst als Quelle der Infektionskrankheit EHEC identifiziert wurden, ehe die Gesundheitsbehörde einen Rückzieher machen musste. Geliefert hat er sie an die Firma Frunet, einen großen Öko-Produzenten und Händler in der Provinz Málaga. Frunet exportierte sie nach Deutschland, so wie rund ein Viertel seiner Gesamtproduktion.
„Wir lassen die Qualität unserer Produkte regelmäßig von unabhängigen Instituten prüfen, die den gesamten Produktionsablauf durchleuchten“, sagte Frunet-Chef Antonio Lavao. „Noch nie wurden wir mit dem Vorwurf konfrontiert, verunreinigtes Gemüse in Verkehr gebracht zu haben.“
Unterdessen ermittelt die Polizei in Hamburg gegen zwei Großhändler und ein Restaurant nach dem Fund von EHEC-Erregern auf vier Gurken. Der Keim, der auf den Gurken nachgewiesen wurde, ist nicht für den derzeitigen Krankheitsausbruch verantwortlich - nach Darstellung der Hamburger Gesundheitsbehörde stellt er aber dennoch eine Gesundheitsgefahr dar. „Wir ermitteln wegen Verdachts des Verstoßes gegen das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch“, sagte eine Polizeisprecherin am Freitag. Sie bestätigte damit einen Bericht der „Bild“-Zeitung (Samstag).