Europaweiter Skandal: Betrug mit Pferdefleisch größer als bekannt
Amsterdam/Brüssel (dpa) — Der vor Monaten aufgedeckte, europaweite Betrug mit falsch deklariertem Pferdefleisch ist noch größer als bislang bekannt. Ein niederländischer Großhändler soll massenweise Pferdefleisch falsch deklariert haben.
Bis zu 50 000 Tonnen Schummel-Fleisch könnten so europaweit verkauft worden sein.
Der Großhändler soll nach Angaben der niederländischen Behörden schon seit mehr als zwei Jahren Pferdefleisch falsch etikettiert und verkauft haben - auch nach Deutschland. Das wurde teilweise schon Anfang des Jahres aufgedeckt, als in mehreren Ländern Tiefkühl-Gerichte entdeckt wurden, in denen Pferdefleisch steckte, obwohl dies nicht angegeben war. Bei ihren Nachforschungen und flächendeckenden Tests stießen die niederländischen Kontrolleure laut EU-Kommission nun allerdings auf insgesamt 50 000 Tonnen Fleisch, deren Herkunft unklar ist.
„Die niederländischen Behörden haben bestätigt, dass Pferdefleisch mit Rindfleisch vermischt wurde“, sagte der Sprecher von Verbraucherschutz-Kommissar Tonio Borg. Die Niederlande hätten eine „umfassende betrügerische Kette“ aufgedeckt.
Was mit den Fleischbergen letztlich geschah, ist unsicher. Der Großhändler Willy Selten lieferte den niederländischen Behörden zufolge 50 000 Tonnen Fleisch an rund 500 Betriebe, darunter 132 Betriebe in den Niederlanden und 370 in 16 EU-Staaten - davon auch an mehr als 100 in Deutschland. Das heißt nach niederländischen Behördenangaben aber nicht, dass auch wirklich die gesamten 50 000 Tonnen mit Pferdefleisch vermischt oder anderweitig falsch deklariert wurden.
Dennoch sind Verbraucher nun erneut stark verunsichert und die Behörden verschiedener Länder alarmiert. Sie bemühen sich, das Fleisch genau zurückzuverfolgen und zu ermitteln, wohin es tatsächlich gelangte. Die EU-Kommission rief dazu auf, die verdächtigen Produkte zu finden und vom Markt zu nehmen. Der größte Teil der 50 000 Tonnen Fleisch wurde laut den niederländischen Kontrollbehörden vermutlich längst gegessen. Doch gerade in Tiefkühl-Produkten könnte noch immer Schummelfleisch stecken.
„Wenn man nicht weiß, woher das Fleisch kommt, ist es prinzipiell nicht für den menschlichen Verzehr geeignet“, sagte der Sprecher der niederländischen Kontrollbehörde, Benno Bruggink. Die Behörde kann auch nicht ausschließen, dass der Händler unkontrolliertes Pferdefleisch nahm, das für Menschen schädliche Medikamente enthalten könnte. Konkrete Hinweise auf Gefahren für Verbraucher gebe es bislang aber nicht.
Das betonte auch Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU). Es seien praktisch alle Bundesländer tangiert, sagte sie. Ersten Ermittlungen zufolge sind Betriebe aus mehreren Bundesländern betroffen, darunter in Brandenburg, Berlin, Thüringen und Niedersachsen. Der Verzehr des Fleisches ist laut Aigner „nach jetzigem Kenntnisstand“ aber nicht gesundheitsgefährdend. Allerdings müsse man da wachsam sein.
Verbraucherverbände, Politik und die Lebensmittelbranche verlangten eine schnelle Aufklärung. Der deutsche Einzelhandel setzte sich zudem für stärkere Lebensmittel-Kontrollen ein. „Die staatlichen Kontrollen müssen besser vernetzt werden“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE), Stefan Genth, am Donnerstag in Düsseldorf. Die Zuständigkeit liege hierzulande bei den einzelnen Bundesländern und sei dort in den Kreisverwaltungen angesiedelt. Kriminelle Machenschaften machten aber an den Landesgrenzen nicht halt. Außerdem sollte die Zahl der staatlichen Lebensmittel-Kontrolleure erhöht werden, meinte der HDE.
Die Verbraucherorganisation foodwatch forderte ein strengeres Durchgreifen der Europäischen Union. Der Fall zeige „in erschreckender Deutlichkeit, dass bestehende Gesetze nicht durchgesetzt werden“, erklärte der stellvertretende Geschäftsführer Matthias Wolfschmidt.
Der verdächtige Unternehmer Willy Selten aus den Niederlanden will gerichtliche Schritte gegen die Kontrollbehörde unternehmen. Die Maßnahme sei unbegreiflich, sagte sein Anwalt Frank Peters dem niederländischen Radio. „Das Fleisch kann man normal essen, und es wurde unter Aufsicht der Behörde verkauft.“