Fleischindustrie wehrt sich gegen Krebs-Einstufung der WHO
Lyon/Berlin (dpa) - Die Warnung der Weltgesundheitsorganisation WHO vor dem Krebsrisiko von Wurst- und Fleischverzehr hat eine heftige Debatte ausgelöst.
„Niemand muss Angst haben, wenn er mal eine Bratwurst isst“, sagte Bundesernährungsminister Christian Schmidt (CSU). Es komme immer auf die Menge an. „Allzu viel ist ungesund.“ Sich ausgewogen zu ernähren, sei nie so einfach gewesen wie heute. Die Studie einer WHO-Behörde, der Internationalen Krebsforschungsagentur (IARC), hatte ergeben, dass regelmäßiger Verzehr von Wurst, Schinken und anderem verarbeiteten Fleisch das Krebsrisiko erhöht.
Demnach gehen pro Jahr 34 000 Krebstodesfälle auf verarbeitetes Fleisch und möglicherweise 50 000 auf rotes Fleisch zurück. Die IARC verwies jedoch zugleich auf viel größere Gefahren: Das Rauchen verursache eine Million Krebstote pro Jahr, Alkoholkonsum 600 000 und Luftverschmutzung 200 000.
Der Bundesverband der Deutschen Fleischwarenindustrie erklärte: „Für die Entstehung von Krebs ist sicherlich nicht ein einzelnes Lebensmittel verantwortlich, sondern auch weitere Einflussfaktoren wie die persönliche Lebensweise, erbliche Vorbelastungen oder Umwelteinflüsse.“
Auch nach dem Report gelte weiterhin der „Grundsatz einer gesunden Lebensweise durch viel Bewegung und eine vielseitige und ausgewogene Ernährung - auch mit Fleisch und Wurst“. Der Fleischwarenverzehr sinke in Deutschland: Der Pro-Kopf-Konsum lag 2013 bei 29,6 Kilogramm, 2003 waren es noch 31,3 Kilogramm.
Dem Verein Die Lebensmittelwirtschaft fehlen „klare wissenschaftliche Beweise dafür“, dass rotes oder verarbeitetes Fleisch wirklich ursächlich krebserregend sei. „Bislang konnte nie wissenschaftlich geklärt werden, welche Inhaltsstoffe aus dem Fleisch dem Menschen schaden könnten - ob es also tatsächlich das Fleisch selbst ist, oder vielleicht doch eher die Verarbeitung durch Pökeln, Räuchern oder Fermentieren?“, sagte Geschäftsführer Stephan Becker-Sonnenschein.
Nach Angaben des Deutschen Fleischer-Verbandes handelt es sich bei den Ergebnissen um einen rein mathematisch ermittelten Risikofaktor. Alles andere wie die Lebensverhältnisse der Konsumenten werde außer Acht gelassen, sagte Sprecher Gero Jentzsch.
Der Schutzverband Schwarzwälder Schinkenhersteller warf der WHO eine Verunsicherung der Verbraucher vor. Die Fleischverarbeitung in Deutschland verlaufe unter strengen Vorschriften und Kontrollen, sagte der Verbandsvorsitzende Hans Schnekenburger.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) lässt sich in der Debatte um Krebsgefahr durch verarbeitetes Fleisch nicht verrückt machen. Er halte es mit dem berühmten Satz: „Alles ist Gift, nur die Dosis entscheidet die Wirkung.“
Die WHO-Behörde IARC hatte selbst eingeräumt, dass das individuelle Risiko, Darmkrebs durch Fleischkonsum zu bekommen, gering sei. Es steige aber mit der Menge des konsumierten Fleisches, sagte Kurt Straif vom IARC. Betrachte man eine große Zahl von Menschen, seien die Fälle gesundheitspolitisch bedeutend.
Die IARC-Ergebnisse bestätigten die geltende Gesundheitsempfehlung, den Konsum von Fleisch zu begrenzen, betonte Agentur-Chef Christopher Wild. Zugleich enthalte etwa rotes Fleisch wichtige Nährstoffe. Die Studie sei wichtig für Regierungen und internationale Organisationen, um die Risiken und Vorzüge von rotem und von verarbeitetem Fleisch abzuwägen und dann Ernährungsempfehlungen zu geben.