Gicht: Neue Erkenntnisse zu einer alten Krankheit

Berlin/Hamburg (dpa/tmn) - Die Gicht ist seit Jahrhunderten als Wohlstandskrankheit bekannt. Üppige Mahlzeiten lösen typische Beschwerden aus: schmerzende, geschwollene und rote Gelenke. Neuere Forschungsergebnisse geben Anlass zur Hoffnung.

„Das Zipperlein“ - so wurde die Gicht früher genannt. Ein stark schmerzender, geschwollener und roter großer Zeh nach einem üppigen Mahl gilt als das typische Symptom eines Gichtanfalls. Seit einigen Jahren liefert die Forschung neue Einsichten in die Vorgänge, die die heftigen Gelenkschmerzen auslösen. „Die Gicht ist ein gutes Beispiel dafür, wie bei einer seit Jahrtausenden bekannten Erkrankung neue Erkenntnisse zur Entwicklung ganz neuer therapeutischer Ansätze geführt haben“, sagt Prof. Andreas Krause vom Immanuel Krankenhaus in Berlin.

Der Gicht liegt ein mehr oder weniger stark ausgeprägter Gendefekt zugrunde: Der Körper kann Harnsäure nicht ausreichend ausscheiden, ihr Wert im Blut steigt an. Die Harnsäure lagert sich daraufhin in den Gelenken ab. Meist sind die großen Zehen betroffen, aber auch die Sprunggelenke, das Knie oder die Hände können befallen sein. Da Harnsäure durch den Abbau von Purinen im Essen entsteht, kommt es meistens nach opulenten Mahlzeiten zu einem Gichtanfall - die Erkrankung zählt zu den Wohlstandskrankheiten.

„Einen Gichtanfall behandelt man mit nicht-steroidalen Antirheumatika wie Diclofenac, teilweise Kortison oder mit Colchicin“, sagt Sebastian Ullrich, Oberarzt an der Asklepios Klinik Altona in Hamburg. Colchicin ist ein Pflanzengift der Herbstzeitlosen. Es wird aufgrund seiner Nebenwirkungen nur kurz verschrieben. Als vorbeugende Standardtherapie bei Harnsäureüberschuss gilt seit Jahren der Wirkstoff Allopurinol, der zu einer verminderten Bildung von Harnsäure führt, sowie eine veränderte Ernährung. Innereien, einige Meeresfischsorten und -früchte sowie rotes Fleisch, Bier und zuckerhaltige Getränke gelten als besonders schlecht für Menschen mit zu viel Harnsäure im Blut.

Doch wie kommt es zu den Symptomen in den Gelenken? In den vergangenen Jahren wurde bekannt, dass das Immunsystem eine große Rolle spielt. „Die im Gelenk ausgefallenen Harnsäurekristalle werden von bestimmten Immunzellen aufgenommen“, erläutert Krause. Diese aktivieren in der Zelle das Inflammasom, einen Eiweißkomplex, der erst vor wenigen Jahren entdeckt wurde. Dadurch wiederum wird der Botenstoff Interleukin IL-1ß freigesetzt, der schließlich die Entzündung in Gang setzt mit der typischen Rötung, Überwärmung und Schwellung. Aus der Rheumaforschung sind eine Reihe von Wirkstoffen bekannt, die die Bildung oder Wirkung des Botenstoffes IL-1ß hemmen. Sie werden laut Ullrich nun auch für die Gichttherapie getestet, vor allem in den USA.

In Deutschland spielen sie weniger eine Rolle: Hier gebe es eher eine Übertherapie bei Menschen, die erhöhte Harnsäurewerte im Blut haben, aber sonst keinerlei Beschwerden, sagt Prof. Jürgen Wollenhaupt von der Schön Klinik Hamburg-Eilbek. Viele Hausärzte in Deutschland greifen demnach schnell zum Rezeptblock und verschreiben Allopurinol, wenn die Harnsäure im Blut zu hoch ist. Das führt dazu, dass kleine Knötchen in den Gelenken und starke Beschwerden durch die vorbeugenden Medikamente kaum auftreten. Allerdings: „Allopurinol kann nur begrenzt bei Menschen mit Beeinträchtigungen der Nieren eingesetzt werden, was jedoch häufiger bei Patienten mit erhöhten Harnsäurewerten der Fall ist“, sagt Wollenhaupt.

Seit diesem Jahr ist in Deutschland ein neues Präparat zugelassen, das auf gleiche Weise wie Allopurinol wirkt. Laut den Experten hat es Vorteile, was die Behandlung von Patienten mit Nierenschäden angeht. Allerdings beeinträchtigt es bei einigen wiederum die Leberfunktion, was genau beobachtet werden müsse.

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